Warum erziehe ich meine Kinder nicht?

Das Thema „Beziehung statt Erziehung“ hat inzwischen glücklicherweise ein immer größer werdendes Publikum.

Kein Wunder!

Es ist so wunderbar schlüssig, fordert auf zur Authentizität und plädiert an das respektieren der Bedürfnisse aller. Nach einer kurzen Umbruchphase wird das Leben für alle leichter. So viele Kämpfe fallen weg oder verlagern sich auf andere Ebenen.

Ein Kind muss gekämmt sein.

Darf keine fleckige Kleidung tragen. Ein Kind muss im Herbst unabhängig von den Temperaturen eingemummt werden. Die Fingernägel müssen kurz und sauber sein. Ein Kind muss Schuhe tragen. Ein Kind muss aufessen. Ein Kind muss grüßen und bitte und danke sagen.

So sehen viele ungeschriebene Gesetze aus, die wir manchmal blind befolgen.

Manchmal kommt ein leiser Zweifel auf, ob dieser Kampf denn nun wirklich sein muss, aber ganz schnell kommt die Angst vor bösen Blicken und Diskussionen hoch, manchmal sogar vor einer Anzeige beim Jugendamt. Und schon haben wir das Kind übermannt und gewaltsam die Nägel geschnitten, um uns vor anderen nicht zu schämen.

Sozial völlig anerkanntes Vorgehen.

Ist eben blöd, wenn das Kind nicht versteht, dass das nun wirklich nicht anders geht. Dann muss man eben.

Nicht.

Wir Erwachsenen haben die Chance, uns selbst, unser Vorgehen, unsere Werte jedesmal wieder zu hinterfragen. Wenn das Kind mitmacht, nichts dagegen hat – super! Aber es soll wann immer möglich selbst bestimmen können, was mit seinem Körper geschieht und was nicht.

Denn wer sind wir, diese Grenze zu überschreiten?

Wer gibt uns das Recht, einen anderen Menschen so zu behandeln? Nur weil wir nicht mutig genug sind um vor anderen zu vertreten, dass das Kind nicht will?
Wir haben dieses Recht nicht, und brechen teils täglich das Vertrauen, das unsere Kinder in uns setzen.

Die Folgen des Machtmissbrauches sind subtil, können aber fatal sein.

Kleinigkeiten werden vielleicht einfach vergessen, wenn sie nicht zu gehäuft auftreten. Aber je häufiger es vorkommt, dass gegen den ausdrücklichen Willen des Kindes etwas mit seinem Körper gemacht wird, das es nicht will, desto tiefer werden die daraus resultierenden Glaubenssätze verankert.

Robustere Kinder werden vielleicht einfach wütend und wehren sich, schreien und toben, lassen uns spüren, was wir ihnen antun. Ein sensibleres Kind fühlt sich wahrscheinlich mindestens genauso verletzt, zeigt es aber nicht so deutlich und sammelt so immer mehr Stress in sich an.

Welche Botschaft senden wir, wenn wir die Grenzen unserer Kinder so überschreiten?

Wir leben vor, dass es in Ordnung ist Dinge mit anderen zu tun, die sie nicht wollen. Auch, dass Menschen kein Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper haben. Dass körperliche Grenzen überschritten werden dürfen, ohne dass es einen triftigen Grund dafür gibt.

 

Niemand wird krank von verfilztem Haar.

Es stellt im Normalfall kein gesundheitliches Risiko dar. Auch schmutzige Fingernägel oder Dreck im Gesicht sind selten ein ernsthaftes Problem. Lediglich gesellschaftlich gesehen könnte es ein Thema sein. Die Verantwortung liegt bei uns Eltern.

Wir entscheiden.

Ob unsere Kinder dies tun und jenes lassen müssen, weil man das eben so macht und ihnen damit das Recht auf Selbstbestimmung absprechen. Oder, ob wir authentisch und reflektiert unsere Ansichten teilen, und die kindliche Kompetenz eigene Entscheidungen treffen zu können anerkennen.

Lassen wir uns unterkriegen?

Wollen wir aus Scheu und Mangel an Rückgrat unseren Kindern den Weg der gebrochenen Lemminge weisen, die mutlos die Verantwortung an der Arzt-Tür oder dem Eingang zur Arbeit abgeben?
Schließlich hat ihr Chef zu bestimmen, ob sie die geforderten Überstunden machen müssen. Der Arzt ist der Fachmann und bestimmt, welche Eingriffe sie über sich ergehen lassen müssen. Ob das nun sinnvoll ist, ob sie das wollen, ob ihre Interessen dabei gewahrt bleiben, das ist egal.

Das haben sie ja schon früh gelernt.

Ich stelle die Dinge natürlich überzeichnet dar. Bei manchen Menschen mag es wirklich so extrem ablaufen, andere wachen vielleicht von selbst auf, wenn der Druck zu stark wird. In jedem Fall bin ich aber dafür, dass wir Eltern unsere Kinder respektieren und ihnen auch im Alltag respektvoll begegnen. Von Anfang an.

Eine ziemlich schwierige Aufgabe.

Die Wenigsten von uns sind so aufgewachsen, oder haben Vorbilder im nahen Umfeld. Für mich ist es immer wieder eine immense Herausforderung, auch nach außen für mein Kind gerade zu stehen. Ganz ehrlich. Das ist ein riesiges Ding für mich, und es ist immer wieder richtig schwierig.
Erst neulich habe ich mich wieder dabei ertappt, meinen Sohn wegen etwas unter Druck zu setzen, das ich nur von ihm wollte, um vor dem sozialen Umfeld Ruhe zu haben.

Die Konsequenz von gelebtem Respekt bedeutet aber nicht, dass die Kinder alles machen und lassen können, was ihnen in den Sinn kommt.

Das kann ich ja auch in einer respektvollen Partnerschaft nicht. Wenn ich gerade laut Party machen will, mein Mann aber mit Migräne im Bett liegt, dann werde ich darauf Rücksicht nehmen, weil es sinnvoll ist. Wenn ich Bohnen essen will und mein Mann Reis, dann spricht überhaupt nichts dagegen, beides zu machen.

Um diese Art respektvollen Umgang bemühe ich mich auch gegenüber Kindern.

Das ist natürlich ein bisschen anders als mit einem Erwachsenen, der weitgehend über die gleichen Kompetenzen verfügt wie ich. Deshalb habe ich mir angewöhnt mich zu fragen, wie ich es mit einem pflegebedürftigen Menschen machen würde. Sollte mein pflegebedürftiger Großelternteil lieber Bananen essen wollen, obwohl ich extra etwas Leckeres gekocht habe, naja dann gebe ich ihm/ihr Bananen und mache meinen Frust mit mir selbst aus. Man kann eben nicht kontrollieren, was der Körper gerade braucht.

So bringen meine Kinder auch mir Respekt entgegen.

Manchmal fragt mein Großer sogar von sich aus nach meinen Wünschen und Bedürfnissen. Das lebe ich ihm nämlich vor:

Unser aller Bedürfnisse und Grenzen sind wichtig. Meine auch.

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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

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