Vom helfen und ‚helfen‘

Ich erlebe den Durchschnittsbürger und die Durchschnittsbürgerin als sehr hilfsbereit.

Besonders gerne helfen sie, wenn Kinder involviert sind. Einmal zum Beispiel hat eine Frau mit dem Auto angehalten, ist mir und meinem Sohn mit den Schuhen ihres Kindes nachgelaufen und wollte sie uns schenken, weil sie im vorbeifahren seine Gymnastik-Puschen gesehen hat und sie für zu kalt hielt. Und mir wurde auch schon öfter erklärt wo der nächste Carla- oder Volkshilfe-Laden ist, oder ich wurde gefragt welche Schuhgröße ich habe. Je nach Tagesverfassung bin ich meist gerührt, amüsiert und selten auch mal genervt.

Interessant ist, mit welcher Motivation die Leute mich ansprechen.

Die wird meist spürbar, wenn ich ihnen erkläre, dass wir garnicht arm sind, und es mir einfach nur viel lieber ist, im Winter mit Flipflops zu laufen, als meine Füße in Schuhe einzusperren. Inzwischen bin ich meist barfuß unterwegs. Das hilft den Leuten leider nicht dabei, mir zu glauben.

Die Reaktionen reichen nämlich von freudigem Aufatmen, interessierter Überraschung über Unverständnis, Unglauben und nicht zuletzt die Befriedigung gestillter Neugier.

Neulich, als ich mit großem Rucksack und den Kindern in Madrid unterwegs war, haben uns auch viele Leute Geld geben wollen. Und das gerade in einem Land (Spanien, für die Erdkunde Nieten :D), wo die Wirtschaft in den Boden gestampft wurde. In Österreich hielten uns die Leute auch für arm, aber Geld angeboten hat uns dort niemand, und Schuhe auch viel seltener.

Das finde ich spannend.

Die Krise schweißt die Leute scheinbar wieder mehr zusammen, ruft ihnen ins Bewusstsein, dass nicht jeder sich alle Grundlagen des Komforts einfach kaufen kann. Meine Uroma hat das auch aus der Nachkriegszeit erzählt.

Niemand hatte etwas, deswegen wusste auch jeder, wie beschissen das ist.

Das wünscht man niemandem, deswegen wird zusammengeholfen. In Österreich denken die Leute eher an offizielle Stellen, die sich ja wohl darum anehmen werden. Fun-Fact: Die Frau, die mir damals in Österreich mit den Schuhen nachgelaufen ist hatte Migrations-Hintergrund.

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Existenzielle Fragen sind den Durchschnittsbürgern fremd.

Deswegen wissen sie oft auch garnichtmehr, wie denn überhaupt effektiv geholfen werden kann. Oder sie haben keine Lust, es zu tun und wollen nur ihr Gewissen beruhigen.

Es ist natürlich viel bequemer, zu Hause per Netbanking dreißig Euro an Licht ins Dunkel zu überweisen, als sich aktiv mit jemandem den man für arm hält auseinander zu setzen.

Vielleicht hat man am Ende noch Flöhe davon. Zugegeben, Parasiten sind ein ernstzunehmendes Risiko. Wer arm ist hat nicht immer die Ressourcen, um Parasiten wirklich auszumerzen, habe ich jetzt beim Reisen gelernt.. Aber es gibt auch Leute die nicht arm sind und Parasiten verbreiten, weil sie sich nicht gut genug darum kümmern. Ich schweife ab.

Also, beim Bedürfnis sozial zu sein Netbanking und dafür in Kauf nehmen, dass mindestens ein Großteil des gespendeten Geldes für Werbung, Bürokratie und Sonstiges drauf geht, oder den Bettler auf der Straße auf einen Gang zum Supermarkt einladen?

Aber warum ist da überhaupt dieses Bedürfnis, etwas zu tun?

Betteln ist Business, genauso wie Hilfsorganisationen, die zwar nicht gewinnorientiert arbeiten, aber genauso dem Geld hinterher rennen. Es ist nicht immer so übel wie die Leute die Kinder rauchen lassen damit sie weniger essen und dünner sind, aber auch in diesen altruistischen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz gibt es immer wieder Skandale bezüglich Spendengeldern.

Ich finde es also lohnenswert sich bewusst die Frage zu stellen, was man mit der Hilfestellung erreichen will.

Auch um sich die eigene Motivation dahinter bewusst zu machen. Wenn ich Geld übrig habe und damit gerne jemandem eine Freude machen will, könnte ich doch genauso gut meinem Bruder etwas Nettes kaufen. Da weiß ich dann auch, dass alles ankommt. Wenn mir der soziale Zweck wichtig ist, kann ich in ein Flüchtlingsheim, ein Kinderheim, zur Jugendwohlfahrt, in ein Krankenhaus,.. gehen, und mal nachfragen, was dort denn gebraucht der erwünscht ist. Oder ich kenne jemanden persönlich, der sich für Leute hier oder weit weg, die in materieller Armut leben, engagiert, und gebe dort mein Geld in gute Hände.

Richtig Arbeit, nicht?

Aber wenn ich mir genau anschaue, was unterstützt wird, wobei ich also mithelfe wenn ich mein Geld an eine große Organisation Spende, ist die bessere Alternative manchmal vielleicht, es zu verbrennen. Es wird dazu noch einen ausführlicheren Artikel geben, denn Monsanto z.B. liebt große Hilfsorganisationen.

Die eigene Motivation zu kennen ist auch super, wenn man im persönlichen Umfeld Gutes tun möchte.

Es ist dann viel leichter möglich, zielgerichtet genau das zu erfragen und erreichen, was man erreichen wollte. Denn vielleicht nehme ich manche Dinge an, die nicht der Wahrheit entsprechen. Ich will einer frisch gebackenen Mama etwas Erleichterung verschaffen, weil ihr gerade alles zu viel wird?

Dann frage ich sie, was ihr am meisten hilft.

Soll ich für sie einkaufen, kochen, putzen, ihr Baby halten damit sie duschen kann? Und wenn sie dann sagt, es belastet sie übelst, dass ihr Klo schon ewig nichtmehr geputzt wurde, na dann mache ich eben das. Sofern es meine eigenen Grenzen nicht überschreitet. Das ist nämlich auch noch so ein Ding.

Viele Leute wollen echt gerne helfen, weil es sich super anfühlt, geholfen zu haben.

In Wirklichkeit wollen sie sich also andere benutzen, um sich selbst zu helfen. Manchmal ist das okay für alle Beteiligten, aber öfter auch mal nicht. Vor allem, wenn dann so „geholfen“ wird, wie der Mensch der helfen will das für richtig hält, und nicht so, wie der dem geholfen werden soll das will.

Stellen wir uns mal vor ich könnte Unterstützung für ein Garten-Projekt gut brauchen.

Wenn ich einen riesigen, komplizierten Lego-Turm aufbauen will, als Stütze für den Ast eines Baumes, und du stellst mir einfach einen Balken drunter und findest das viel besser, kann es gut sein, dass ich richtig angepisst bin weil ich den dann nicht mehr rauskriege und wirklich lieber diesen wunderschönen, vielleicht sogar multifunktionalen Lego-Turm dort gesehen hätte. Und wenn es nicht geklappt hätte, dann hätte ich ja immer noch den Balken drunter stellen können.

Mir wurde in dieser Situation also nicht wirklich geholfen.

Ich muss jetzt entweder immer diesen Balken anschauen ohne zu wissen, ob der Lego-Turm nicht so super gewesen wäre, wie ich mir das ausgemalt hatte, oder ich muss schuften um deine Arbeit wieder kaputt zu machen und meine weiter zu führen.

Alternativ hättest du mit mir besprechen können, warum mir dieser Lego-Turm so wichtig ist, weil du es offensichtlich nicht verstehst.

Entweder ich kann dich von der Sinnhaftigkeit des Unternehmens überzeugen und du möchtest mich gerne dabei unterstützen, oder du hilfst mir nicht, weil du lieber deine Zeit in andere Dinge als hirnrissige Ideen investierst.

Oder du hilfst mir genau so wie ich mir das von dir wünsche, weil du mir eine Freude machen willst und es dir egal ist, was dabei an messbarem „Erfolg“ herauskommt.

Hoffentlich machst du das aber nur, wenn es bei dir gerade gut geht. Es geht ja schließlich nicht um Leben und Tod, sondern um eine Ast, den ich abstützen möchte. Ich habe bei meiner Mama am Fensterbrett mal ein tolles Gedicht dazu gelesen, da ging es darum, dass man nur aus dem Überfluss geben soll.

Und es fühlt sich für mich auch viel schöner an, aus Überfluss zu empfangen.

Wenn jemand selbst gerade Unterstützung braucht, oder mit dem eigenen Leben grad gut ausgelastet ist, will ich nicht kommen und bitten, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Oft fühle ich dann auch Druck in mir, weil ich mich als Belastung empfinde, und die angenommene Hilfeleistung ausgleichen will.

Schwierig wird es, wenn jemand seine Belastungsgrenzen nicht gut wahrnimmt oder kommuniziert und trotzdem helfen will.

Aber das ist dann nicht mehr meine Verantwortung, in solchen Fällen darf ich wieder Abgrenzung üben. Um nachhaltig Hilfe leisten zu können schaue ich also erstmal, kann und will ich gerade Zeit, Kraft, Geld verschenken? Oder brauche ich etwas dafür zurück? Brauche ich bestimmte Umstände, unter denen ich Hilfe leisten will? Warum will ich überhaupt helfen? (Stelle dir diese Fragen auch mal, wenn es um Weihnachtsgeschenke geht. Ersetze einfach das ‚helfen‘ durch ’schenken‘.)

Hin und wieder ist auch die Frage angebracht: KANN ich überhaupt helfen, oder würde ich nur aufhalten, vielleicht sogar alles schlimmer machen?

Emmi Pikler* erklärt in ihren Büchern zum Beispiel wie wichtig es ist, dass Kinder selbstständig ihre Bewegungsentwicklung durchlaufen. Jede Art von „Hilfe“ beim Gehen bevor das Kind selbst gelernt hat, sicher zu gehen, blockiert oder verhindert den Lernprozess, an dessen Ende ein gutes Gefühl für den eigenen Körper, die eigenen Fähigkeiten und damit Selbstsicherheit stehen. Insofern ist die beste Hilfe oft, Lernprozesse zu respektieren.

Das funktioniert auch bei Erwachsenen 😉

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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

4 thoughts on “Vom helfen und ‚helfen‘

  1. so, erstens Mal fand ich den Eintrag interessant und zum Nachdenken.
    Zweitens hat meine Frag nichts mit dem Inhalt des Artikels zu tun.
    Aber – FlipFlops sind doch wirklich nicht gut für die Füße, egal in welcher Jahreszeit.

    1. Haha 😀
      Freut mich, dass dir der Artikel gefällt! Barfuß ist natürlich besser, aber ob Flipflops gesund sind oder nicht hängt nur davon ab, wie man in ihnen geht 🙂
      In Asien schlurfen die Leute ganz entspannt damit durch die Gegend. Weder europäisches Zehenkrallen, noch das typische Floppen 🙂
      Und das Material ist natürlich interessant.

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