In unserer kunterbunten Welt verkommt die Monogamie immer mehr zu einem Relikt, dessen man sich ruhig entledigen darf.
Ist das gerechtfertigt?
Auf die Welt kommen, Kind sein, Schule, einen Beruf lernen, sich verlieben, heiraten, Kinder kriegen, alt werden, sterben. So in etwa war das Leben einmal vorgezeichnet, und manches davon bleibt uns allen erhalten. Mindestens das geboren werden und sterben.
Aber wozu denn heiraten?
Für steuerliche Vergünstigungen vielleicht. Das war es jedenfalls, was uns in der Schule damals eingfallen ist, als es um Argumente pro Heirat ging. Und dann war es ruhig. Wir zermarterten uns den Kopf, sollten wir doch zehn Gründe zusammen kriegen. Für die quadrillionste Erörterung, die uns auf die Matura vorbereiten sowie den allerletzten Funken Freude am Schreiben auslöschen sollte.
Erbrecht war auch relevant, und wenn es Kinder gibt ist rechtlich manches bei Verheirateten leichter…
Romantik pur!
Ich habe es selbst nicht verstanden, bis ich schwanger war. Plötzlich wünschte ich mir nichts sehnlicher, als den Mann zu heiraten, der mir das Kind in den Bauch gepflanzt hatte. Da war aus heiterem Himmel der dringende Wunsch, so richtig förmlich eine Familie aus uns zu machen. Bewusst unserer Intention zusammen zu bleiben eine äußere Form zu geben.
Aha, dachte ich mir, das ist es also. Sich gemeinsam darüber freuen, dass zwei Menschen zueinander gefunden haben. Welche, die sich so sehr lieben, dass sie den Rest ihres Lebens miteinander verbringen wollen. Die bereit sind, sich einander zu verpflichten.
Versteht das heute noch jemand?
Wozu will man sich verpflichten? Woher soll ich wissen, was ich morgen will, was ich morgen fühle, sagen vielleicht manche. Wozu sich an jemanden binden? Da gibt es so viele verschiedene Menschen, die alle so wunderschön und wunderbar sind, warum sich auf einen beschränken? Warum nicht Freude miteinander haben, solange es Freude macht? Und sollen wir nicht frei lassen, was wir lieben?
Es macht keinen Spaß, besessen zu werden.
Aber es ist eine Sache, ob man sich gegenseitig besitzt, weil da ja „Liebe“ und somit scheinbar auch Verpflichtung ist. Oder ob man sich einfach nur liebt. Wenn man sich wirklich einfach nur liebt gibt es keine Regeln, dann hat alles Platz. Ob das nun Freundschaft, eine monogame Zweierbeziehung oder ein Dorf ist, wo mal hier und mal da geschlafen wird.
Frei lieben bedeutet allerdings auch, sich selbst zu lieben und anzuerkennen.
Das heißt, wenn es mir weh tut, dass mein Partner gerne auch mit anderen Frauen schlafen möchte, ist es an mir zu schauen, wie ich damit umgehen will. Finde ich Frieden damit und kann den anderen machen lassen? Oder ist es für mich stimmiger, die Partnerschaft zu beenden um den anderen nicht in seiner Freiheit einzuschränken, mich aber gleichzeitig ebenfalls zu respektieren? Findet sich womöglich ein bereichernder Mittelweg?
Denn Liebe ist nicht gleich körperliche Intimität.
Es gibt sehr viele Arten, sich Liebe zu zeigen. Und oft kann ein Blick, eine Umarmung oder eine Berührung am Arm, gemeinsames Sein oder ein Gespräch viel liebevoller, intimer und nährender sein, als ein Quickie am Klo um Druck abzubauen. Sogar wenn es um romantisch motivierte Intimität geht, wollen wir meist eigentlich nur Nähe und Verbindung fühlen, aber nicht unbedingt Sexualität.
Oft ist das nur der einzige Weg den wir kennen, um diesen Durst zu stillen.
Wenn sich dann in einer monogamen Beziehung herausstellt, dass das Nähebedürfnis vom Partner nicht oder nicht vollkommen erfüllt werden kann, zieht es viele in andere Betten. Das läuft selten bewusst ab, weswegen es auch dauernd völlig unerwartet und wie aus heiterem Himmel dazu kommt, dass ein Penis und eine Vagina ineinander finden, die zu Menschen in Beziehungen mit anderen gehören. So etwas ist meist sehr schmerzhaft für alle Beteiligten, auch wenn es geheim bleibt.
Körperlich ausgelebte Sexualität ist kein Grundbedürfnis.
Sie ist eine wundervolle Möglichkeit, sich unseres Lebens und unserer Körper zu erfreuen, aber es gibt viele andere Wege zu fühlen und sich zu liebevoll verbinden. Gemeinsam zu tanzen, im Gesang Stimmen zu verweben, im Gespräch die Geister zu vereinen, in Meditation miteinander zu verschmelzen, auch das ist ein Ausdruck von Liebe und schafft tiefe Verbindung. Sich darüber klar werden, welches Bedürfnis hinter dem Wunsch nach Sexualität steht, allgemein und außerhalb der Partnerschaft, kann viel Entspannung bringen.
Als nächstes kann man sich ansehen, ob es wirklich produktiv ist, dem Impuls nachzugeben.
Oder ob er transformiert werden und in eine andere Richtung gelenkt werden will. Wir können uns und unseren Mitmenschen viel Leid ersparen, wenn wir verstehen, woher unser Bedürfnis kommt und bewusst damit umgehen. Oder es nur wahrnehmen und da sein lassen, ohne zu handeln. In einer Partnerschaft finde ich es auch schön, wenn offen darüber gesprochen wird, sobald der Wunsch nach körperlich intimer Nähe oder romantische Liebe zu Menschen außerhalb der Partnerschaft auftaucht.
Manchmal ist das nämlich nur ein Anzeichen dafür, dass die Partner sich einander entfremden oder Angst vor zu viel Bindung die Beziehung lähmt.
Derartig offene Gespräche und ein bewusster Umgang mit diesen Impulsen können eine Partnerschaft vertiefen und stärken. Das Vertrauen wächst, und damit die Nähe und Verbindung. Sie schaffen den optimalen Raum dafür, Lösungen zu finden, wenn welche gebraucht werden. Oft reicht es nämlich schon, nur den Stand der Dinge anzuerkennen.
Um so gemeinsam wachsen zu können, ist allerdings beiderseitige Reife erforderlich.
Es tut oft weh zu hören, dass man nicht der oder die Einzige ist, weil wir im Außen Sicherheit, Bestätigung und Beständigkeit suchen. Der Schmerz richtet sich dann schnell gegen den anderen, möchte beschuldigen und verurteilen. Oder wir fühlen uns minderwertig und nicht ausreichend liebenswert, als hätten wir versagt. Auch das darf da sein, will aber ebenfalls beobachtet werden, bevor drastische Maßnahmen ergriffen werden.
Und plötzlich kann es passieren, dass wir uns für unseren Partner freuen.
Geht es nicht nur um körperliche Nähe die etwas kompensieren will, sondern Liebe, dann freue ich mich – neben den anderen präsenten Gefühlen – für meinen Partner darüber, dass er jemanden gefunden hat, mit dem er sich wirklich verbunden fühlt. Wie kann ich es jemandem den ich liebe nicht vergönnen, glücklich zu sein?
Lieben zu können ist so erfüllend und schön, dass es doch gut sein muss, viele Menschen zu lieben!
Die einzige wirkliche Frage ist, kann die Liebe so ausgedrückt und gelebt werden, dass es allen Beteiligten damit gut geht. Beziehungen mit mehr als zwei Partnern halten selten langfristig und spätestens sobald Kinder im Spiel sind, wird für die meisten Frauen ein beständiges Heim mit verlässlich präsentem und emotional verfügbarem Partner sehr wichtig. Schwangerschaft, Geburt und das Versorgen eines Babys machen uns offen, empfänglich und sehr sensibel. Vieles verändert sich, große Verantwortung und oft auch Druck wühlen die Gemüter auf.
Wenn in dieser Zeit nicht alle verfügbare Energie in die Familie investiert wird, bleibt meistens viel an der Mutter hängen, die dann „allein mit Kind zu Hause sitzt, während er eine andere vögelt“.
In monogamen Paaren ist es dann Fußball, Fitnesscenter oder Zocken. In einem Gruppengespräch über Polyamourie klagten die Mütter (alle hatten kleine Kinder) jedoch einstimmig darüber, dass es für sie eine sehr sensible Zeit ist, in der sie sich den Partner voll verfügbar wünschen. Sie fühlten sich sehr offen und verletzlich. Diese Offenheit kann dazu führen, die Beziehung zueinander zu vertiefen. Sie kann folglich sehr bereichernd und heilsam für eine Familie sein.
Aber nur, wenn alle wirklich da sind und ihren Anteil übernehmen.
In der Theorie klingt es ja recht schön, den Partner frei zu lassen. Jedoch wird der Respekt vor den eigenen Bedürfnissen und Wünschen dabei gerne übersehen. Wenn ich beim Gedanken daran, dass mein Partner mit jemand anderem intim ist leide, meinem Partner dies aber wichtiger als mein Wunsch nach sexueller Exklusivität ist und keine andere Lösung gefunden werden kann, sollte ich die Verantwortung für mich und meine Gefühle übernehmen und mich schützen.
Ich bin ein Fan von Commitment.
Das beschreibt für mich in diesem Zusammenhang Hingabe an eine Bindung, das Annehmen von Verbindlichkeit und Verantwortung für sich selbst sowie den eigenen Anteil an der Beziehung zum anderen. Ich möchte gerne in einer partnerschaftlichen Beziehung leben, wo alles so lebendig und erfüllt ist, dass sich die Frage nach außerpartnerschaftlicher Intimität nicht stellt.
Wo wir gemeinsam tiefer gehen, und durch unsere Krisen gestärkt hervorgehen.
Meine Vision für mein Leben bleibt eine lebenslange, monogame Partnerschaft, in der man aneinander und miteinander (zusammen)wächst. Für einen fruchtbaren Wachstumsprozess mögen außerpartnerschaftliche Intimkontakte einmal nötig sein, um gewisse innere Vorgänge im Außen sichtbar zu machen, zu intensivieren. Es kann auch sein, dass es tatsächlich Leute gibt, die sexuell polyamor leben und zutiefst glücklich sind.
Ich habe sie trotz Suche noch nicht gefunden, und freue mich, dazu zu lernen.
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Huhu Mira,
mir leuchtet das Konzept „Polyamorie“ ein. Für mich wäre es allerdings auch nichts, da ich auch ein Fan von Commitment bin.
Partnerschaft setze ich mit exklusiver Zweisamkeit gleich. Da bin ich gerade auch auf der Suche bzw frage mich, ob ich überhaupt bereit für einen Partner bin.
Herzlichst
Karolin
Hallo Karolin!
Meine Vermutung ist ja, dass es mit der Partnerschaft so ist, wie mit der Elternschaft – wirklich bereit ist man nie 😀
Wir können nur die Heruasforderungen annehmen, die sich bieten – sie kommen bestimmt.
Liebe Grüße!