WARNUNG: Dieser Artikel enthält eine detaillierte, nüchterne Beschreibung der Vorgänge bei einer Bauchgeburt (Kaiserschnitt)!
Eines der Themen, die mir speziell am Herzen liegen ist Geburt. Der Weg aus dem Bauch heraus kann für Mutter und Kind freudig und aufregend sein, intensiv, berauschend, ja sogar orgastisch. Meist ist er aber eher schmerzhaft und traumatisch für beide.
Das muss nicht sein.
Hypnobirthing wurde Dank der englischen Prinzessin berühmter und verhilft vielen Frauen zu einer sanfteren Geburt mit weniger Interventionen. Mein persönlicher Eindruck ist, dass schmerzfreie Geburt damit zwar leichter wird, aber die konsequente Anwendung der Technik allein lange nicht ausreichend ist. Trotzdem ist es sehr empfehlenswert, sich auf die Schwangerschaft und Geburt intensiv vorzubereiten, und zwar vor allem psychisch.
So viele irreführende oder schlicht falsche Dinge prägen das gesellschaftliche Bild über Schwangerschaft und Geburt, die uns unterschwellig beeinflussen und verunsichern.
So viele Dinge die vor diesem Kraftakt aussortiert werden wollen, um eine Frau unbeschwert und frei durch dieses Erlebnis gleiten zu lassen.
Aufklärung ist notwendig, denn sonst werden die Mythen über angeblich lebensbedrohliche Gefahren weiter verbreitet und belasten die Mütter in der Schwangerschaft. Das wirkt sich natürlich negativ auf das Kind aus, genauso wie die vielen unnötigen Untersuchungen.
Bitte um Aufmerksamkeit, nicht alle Untersuchungen sind unnötig. Aber die meisten.
So wird etwa in Großbritannien seit Jahrzehnten keine routinemäßige vaginale Untersuchung in der Schwangerschaft mehr durchgeführt. Im Gegensatz dazu Österreich, wo die Auszahlung von einem Teil des Kinderbetreuungsgeldes (in Summe bis zu ca. 3.000 €, Stand 2016) davon abhängig gemacht wird, ob vaginale Untersuchungen zu den vorgegebenen Terminen durchgeführt wurden oder nicht. Ultraschall ist dafür NOCH nicht notwendig, auch wenn der Hinweis nun nichtmehr fettgedruckt wie vor vier Jahren, sondern in Normalschrift im Mutter-Kind-Pass (Mutterpass) zu finden ist.
Selbst die Ärzte und Hebammen sind teils grob fehlinformiert oder von ihrer Ausbildung verschreckt, sodass sie sich nichts mehr zutrauen.
Sie haben in ihrer Ausbildung natürlich auch viel Richtiges gelernt, aber um ein Beispiel zu nennen: Beckenendlagen sind keine Indikation für Kaiserschnitt. Es ist lediglich eine seltene Varainte der Längslage, kein Grund zur Panik.
Eine Geburt birgt Risiken.
Ob nun der Kopf oder der Po zuerst kommen ändert nichts an der „Gefährlichkeit“. Solange die eventuell begleitenden Geburtshelfer gut ausgebildet sind, stellt eine Komplikation kein größeres Risiko dar, als bei einer Geburt bei der der Kopf zuerst kommt.
Dieser Mythos geht auf eine einzige, fehlerhafte Studie zurück, und hält sich bis heute leider hartnäckig. Manchmal wird die Sectio auch nur noch durchgeführt, weil das Know-how für die vaginale Geburtshilfe bei Beckenendlage schon verloren gegangen ist und kompetente Geburtshilfe deshalb nichtmehr gewährleistet werden kann.
Zudem drehen sich manche Kinder noch während der Geburt.
Man kann also erst wenn es im Geburtskanal angekommen ist sicher sagen, in welcher Lage es geboren werden wird. Trotzdem werden viele Frauen aufgrund des angeblich so hohen Risikos vororglich operiert, meist sogar bevor sie Wehen produzieren konnten und natürlich ein gutes Stück vor dem Entbindungstermin, um Wehen unwahrscheinlich zu machen.
Das bedeutet, nur zur Sicherheit werden einer Frau Muskel- und Hautschichten durchtrennt.
Manchmal unter Vollnarkose, manchmal mit Periduralanästhesie (PDA, Über das Rückenmark gespritzte Betäubung). Das Kind wird, ohne ganz ausreifen und sich auf die Welt da draußen vorbereiten zu können, ohne durch Wehen und Hormone vorbereitet zu werden, aus dem Schnitt bzw. Riss im Bauch herausgezerrt.
Denn nein, Kaiserschnitt ist weder für die Mutter, noch für das Kind sanft.
Die Nabelschnur wird abgeklemmt und durchtrennt, die Gebärmutter zieht sich zusammen und die Plazenta löst sich oder wird gelöst und herausgehoben.
Bei der Variante mit Rückenmarksbetäubung kann die Frau theoretisch ihr Kind direkt nach der Bauchgeburt sehen, auf die Brust nehmen, vielleicht sogar stillen. Praktisch ist da oft jemand anderer Meinung, aber es wird häufiger. Der Bauch der Mutter wird dann noch getackert und/oder genäht. Manchmal werden nur Haut und Muskeln genäht (Misgav-Ladach-Methode) und das restliche Gewebe soll selbst zusammenfinden.
Das kann gut gehen, oder es entstehen üble Verwachsungen und andere Komplikationen.
Die Atemwege des Kindes werden wahrscheinlich abgesaugt – auf einer harten Unterlage weg von der Mutter, versteht sich. Kein Durchtritt durch den engen Geburtskanal konnte das Fruchtwasser herausdrücken und keine Hormone die Lungenfunktion ankurbeln, daher sind Atemschwierigkeiten wahrscheinlicher, wenn auch nicht zwangsläufig zu erwarten.
Vielleicht klappt es mit dem Stillen langfristig. Bei guter Begleitung sogar sehr wahrscheinlich.
Vielleicht kümmert sich die Mutter auch jetzt oder später um das weitergeben der nützlichen Bakterien, die das Kind auf dem Weg aus dem Bauch nicht mitbekommen hat, da eine Bauchwunde keine Scheidenflora bieten kann (Seeding). „In den ersten Tagen nach dem Eingriff ist es ganz normal, dass sich die Frau wegen des Wundschmerzes nur eingeschränkt bewegen kann.“, heißt es auf familienplanung.de
Bei Vollnarkose wird die Frau in den Operations-Saal gebracht, betäubt, und wacht später in einem anderen Raum auf, wo dann vielleicht auch ihr Kind ist.
Vielleicht wurde das Kind schon mit Pulver-Nahrung gefüttert, vielleicht hat es einen Schnuller bekommen. Sollte die Frau stillen wollen, hat sie nun möglicherweise einen erschwerten Start, da das Risiko einer Saugverwirrung besteht. Das Baby wurde untersucht und behandelt, während sie noch betäubt war.
Wahrscheinlich wurden ohne Nachfrage alle üblichen Prophylaxen verabreicht, wenn niemand darauf geachtet hat, dass dies nicht geschieht.
Manche Frauen haben nach der Operation große Schwierigkeiten damit, ihr Baby selbst hoch zu nehmen. Jedes mal sich bewegen, um z.B. etwas zu trinken, schmerzt. Schmerzmittel werden zwar angeboten, aber nicht alle Frauen fühlen sich aus verschiedenen Gründen damit wohl, sie auch in Anspruch zu nehmen. Und auch nicht allen Frauen helfen sie genug.
Im Vergleich dazu nun die vaginale Geburt.
Das Baby entscheidet, wie lange es im Bauch bleibt. Wenn es bereit ist, sendet es ein hormonelles Signal, das die Geburt einleitet. Meistens passiert das zweieinhalb Wochen vor bis zweieinhalb Wochen nach dem errechneten Geburtstermin, der lediglich einen groben Richtwert darstellt. Die Gebärmutter der Frau zieht sich immer wieder zusammen.
Sensible, hormonelle Vorgänge laufen in ihr und ihrem Kind ab.
Das Gewebe der Frau wird weicher gemacht, und die Gebärmutter zieht ihre Muskeln nach oben. So kann sich ihr Hals öffnen, während so auch das Kind nach unten geschoben wird. An irgendeinem Punkt springt die Fruchtblase, oder sie wird nach der Geburt geöffnet (Glückshaube).
Das Kind tritt mit Kopf oder Po ins Becken ein, dreht sich durch den Kanal und wird geboren.
Dabei wird Fruchtwasser aus den Lungen gedrückt. Manchmal reißen der Damm oder die Schamlippen. Oft wird durch den Austritt vom Kopf des Kindes auch der Enddarm der Frau wie eine Zahnpastatube ausgedrückt. Das Kind kann von der Mutter selbst oder Geburtshelfern aufgefangen werden, und dann der Mutter auf die Brust gelegt werden.
Nun sollte erst einmal entspannt geschaut werden, wie es weiter geht.
Es kann sein, dass das Baby schreit. Meist beginnt es von selbst zu atmen. Das darf auch etwas dauern, wenn die Nabelschnur noch intakt ist. Solange sie pulsiert wird das Kind, wie all die Monate davor, weiter von ihr mit Sauerstoff und vielem mehr versorgt. Meist möchte das Baby erst einmal ankommen und beginnt dann, die Brust zu suchen. Hat es die Möglichkeit dazu, wird es innerhalb der ersten Stunde meist auch zur Brustwarze kriechen und dort zu saugen beginnen. Der optimale Stillbeginn.
Üblicherweise kann die Frau innerhalb einer Stunde nach dem Kind auch die Plazenta gebären, ohne dass nachgeholfen wird.
Solange sie nicht übermäßig blutet und es ihr gut geht, kann auch länger auf die Plazenta gewartet werden. Eventuelle Verletzungen werden genäht. Manche Frauen können und wollen nun schon aufstehen und ihr Kind dabei tragen.
Das Kind wird für die Geburtsurkunde vermessen und gewogen, vielleicht wird es auch sonst noch untersucht. Diese Untersuchungen sind aber im Normalfall möglich, während das Kind bei der Mutter ist.
Natürlich sind das nur zwei von vielen möglichen Varianten.
Manch eine Frau ist nach einer interventionsfreien, vaginalen Geburt tagelang richtig kaputt oder sogar traumatisiert. Andere fühlen sich nach dem Kaiserschnitt sehr schnell wieder fit und kommen gut damit klar. Trotzdem bleiben große Unterschiede, was die körperliche Versehrtheit bzw. Unversehrtheit betreffen. Es gibt zwischen beiden Szenarien auch noch eine riesige Grauzone. Da ich aber sowieso nicht alles abdecken kann, habe ich diese zwei Szenarien gewählt, um den mir wichtigen Punkt zu kommunizieren.
Weiterführend lohnt es sich natürlich anzuschauen, wie gut sich die Frauen nach der Geburt um ihre Kinder kümmern können.
Wenn die Geburt traumatisch verlief, wird die Frau möglicherweise Probleme damit haben, einfühlsam und aufmerksam mit ihrem Kind umzugehen. Nach einem Kaiserschnitt, vor allem einem ungeplanten mit Vollnarkose, ist das wahrscheinlicher, als nach einer spontanen Geburt.
Ich richte den Fokus auf den Zustand der Frau, wenn es um Geburt geht.
Auch wenn es um Schwangerschaft geht tue ich das. Die schwangere Frau soll gesund, fit und ausgeglichen ihre Schwangerschaft genießen können, was natürlich geleichzeitig ihrem Kind die optimalen Voraussetzungen für ein gesundes Wachstum bietet. Während der Geburt soll die Frau ganz auf sich hören, nach ihrer Intution handeln können und unterstützt werden.
Sie soll in einem Umfeld mit Rückzugsmöglichkeit gebären, in dem sie sich geborgen und sicher fühlt.
Das ist wichtig, um bestmöglich loslassen zu können, ohne ihrem Kind den Weg durch eventuelle Anspannungen zu erschweren und sich selbst so wie ihrem Kind damit unnötige Schmerzen zu bereiten. Wenn sie möchte, sollte ein vertrauter, im Idealfall mit Geburten erfahrener Mensch für sie bereit stehen, der ihr bei Unannehmlichkeiten oder gar Schwierigkeiten Tips geben bzw. ihr aktiv helfen kann. Kann die Mutter sich entspannen und loslassen, wird das Kind im Regelfall gut mit Sauerstoff versorgt, badet wie die Mutter in schmerzlindernden Endorphinen und versteht, hier passiert gerade etwas Großes. Etwas ganz Neues. Aber alles ist in Ordnung. Mama hat keine Angst. Was hier passiert ist richtig.
Denn was die Frau empfindet, fühlt das Kind mit.
Das ist überhaupt nicht esoterisch, sondern passiert ganz handfest über Hormone die dem Kind erklären, wie die aktulle Situation von der Mutter bewertet wird. Es speichert alles ab, alle Reize inklusive der hormonell kommunizierten Bewertung werden verbunden, um nach der Geburt auf die Welt vorbereitet zu sein.
Wenn eine Frau nun sehr lange oder oft sehr unglücklich ist, während sie ihr Kind im Bauch trägt, kann sie ihr Kind nicht optimal versorgen.
Stress versetzt den Körper in Alarmzustand, und Körperfunktionen, die nicht akut das Überleben gewährleisten werden heruntergefahren. So wird etwa die Verdauung auf Dauer stark beeinträchtigt, und damit natürlich auch die Nährstoffaufnahme.
Außerdem lernt ihr Kind, dass Leben keinen Spaß macht.
Dass alles anstrengend ist, und überfordernd. Die Stressresistenz des Kindes wird nicht so augeprägt sein wie bei Kindern, deren Mütter die Schwangerschaft entspannt und glücklich verbringen konnten. Das bedeutet, ein Kind dessen Mutter in der Schwangerschaft oft unglücklich war, hat wahrscheinlich ein kleineres Wohlfühl-Fenster als andere, und ist schneller überreizt, überfordert, gestresst.
Glücklicherweise kann man viel davon wieder gut machen, wie wir dank der Hirnforschung wissen.
Und es kommt auch immer auf die individuelle Bewertung der Situation an. Es gibt rundum glückliche und tiefenentspannte Bauchgeburts-Babys und Mütter, so wie es traumatisierte Hausgeburts-Babys und -Mütter gibt. Unser Hirn bleibt ein Leben lang plastisch und kann sich verändern, wir können immer neu lernen. Aber wenn es sich irgendwie ermöglichen lässt, da sind wir uns sicher einig, wollen wir doch einem neuen Menschen den Weg so leicht wie möglich machen.
Das Leben wird noch herausfordernd genug.
Die Zeit, die mit Umlernen verbracht wird, kann nicht für anderes genutzt werden. Die Zeit, die vor dem Umlernen vergeht, ist geprägt von Blockaden und Leid. Manchmal ist das eben so, manchmal kann man wirklich nichts tun. Oft genug aber schon. Und ich kann nicht aufhören mich zu fragen:
Was wäre möglich, wenn wir von Anfang an optimal begeitet würden? Wie wäre unser Leben dann? Unsere Gesellschaft?
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