Unerzogen ist eine Haltung und keine Methode

Ursprünglich sollte dieser Text an anderer Stelle erscheinen, nun wurde er aber doch nicht benötigt und ich teile ihn hier. Es geht hier um mein persönliches Verständnis. Aufgrund diverser Debatten innerhalb der Community würde ich ihn momentan nicht nochmal mit Bezug auf unerzogen schreiben, stehe aber noch immer hinter meiner Meinung.

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Unerzogen, das ist doch das wo die Kinder Schokolade frühstücken und den ganzen Tag vorm Bildschirm hängen? Wo die Eltern sie dann nichtmal zum Zähneputzen schicken, sondern die Kinder mit braunen Stummeln im Mund und Filzpolster am Kopf vorm Fernseher sitzen. Ne, das ist nix für mich.

So ähnlich hab ich das neulich gelesen, und möchte meine Perspektive gegenüber stellen.

Es ist eine Haltung.

Und die drückt sich je nach Situation, je nach Umgebung, je nach Vorgeschichte anders aus. Die unerzogene Haltung drückt sich in Respekt aus, auch vor den Kleinsten. Es gibt so viele Überschneidungen mit der Betrachtungsweise hinter der gewaltfreien Kommunikation, dass ich fast meinen möchte, es ist die gleiche. In anderen Worten bedeutet das, unerzogen will ohne unnötige Gewalt auskommen, und zwar welche Form der Gewalt auch immer.

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Wenn wir uns nun den Wortstamm von dem Begriff „Erziehen“ anschauen, finden wir zu „herausziehen“ (irzihouan). Laut Gerhard Spitzer, dem Autor des Buches „Warum zappelt Philipp?“, wurde Erziehung früher als das „herausziehen“ der Talente, der „guten“ Fähigkeiten, angesehen. Aber da fängt doch die Gewalt schon an, nicht? Wer gibt mir das Recht zu entscheiden, welche Anlagen herausziehenswert sind?

Echter Respekt begegnet einem Menschen unvoreingenommen und schaut, was sich entwickelt.

Wenn dieser Mench noch sehr klein ist, und auf Unterstützung und Versorgung angewiesen ist, sehe ich es als die heilige Pflicht des schon selbstsändigen sozialen Umfeldes, die abhängigen Menschen bei ihrer Entfaltung zu unterstützen. Nochmal ganz deutlich: Der kleine Mensch soll in einem nährenden Umfeld aufwachsen, wo sich entwickeln und entfalten darf, was da ist. Egal, was es ist.

Aber was, wenn da ein kleiner Schläger geschlüpft ist? Muss ich den nicht ordentlich in die Schranken weisen?

Erstens sind Menschen von Natur aus sozial. Wenn also regelmäßig Leute verletzt werden, ist nicht das Kind falsch, sondern irgendetwas im Umfeld. Das kann von einem starken Bewegungsdrang kommen, der noch kein besseres Ventil findet. Als Begleiter kann man dann ein paar Optionen aufzeigen, wie sich all diese Energie auf freundliche Art entladen kann. Etwa am Spielplatz und im Karate-Training. Unbequemer wird es, wenn das Kind verzweifelt ist und keine andere Möglichkeit sieht, auf Missstände aufmerksam zu machen, als zu verletzen.

Denn auch wenn mit Häme und Vorsatz verletzt wird, handelt da ein verzweifeltes Kind.

Das gilt es zu würdigen, um auch dann in Beziehung bleiben zu können. Wenn wir die Motivation hinter dem Verhalten erkennen, und uns nicht von eventuell unangenehmen Handlungen ablenken lassen, verändert das die Beziehung und Kommunikation grundlegend. Oft ist dann ein empathisches Zugehen möglich, wo vorher gekeift und gezetert wurde.

Bitte weise ein Kind im Falle dann mit diesem Verständnis liebevoll und unmissverständlich darauf hin, dass es andere nicht vorsätzlich  verletzen soll.

Zeige Handlungsalternativen auf, und hilf dem Kind, den inneren Druck anders abzubauen. Lässt du es mit diesem Druck allein, auch indem du es jedes mal ablenkst von dem Auslöser, verpasst ihr eine wunderschöne Chance auf Verbindung und Üben von bewusst gelenktem Gefühlsausdruck.

Was hat das nun mit Zähneputzen zu tun?

Ich will meinem Kind zeigen, dass nur es selbst bestimmen darf, was mit seinem Körper gemacht werden darf. Wenn ich es daran gewöhne, dass es sich unterordnen und gehorchen muss, während ich bestimme was mit seinem Körper passiert, hat es später sicher größere Schwierigkeiten ein Nein durchzusetzen, wenn auch jemand anderer bestimmen will. Ob das nun beim Arzt ist, oder auf dem Klo eines Nachtclubs. Alltägliche Handlungen prägen uns.

Je nach Belastungsgrad oder Dringlichkeit kann zumindest ich das nicht immer umsetzen. Dann erkläre ich, wie es mir lieber wäre. Und dass es mir Leid tut, dass ich momentan keine bessere Lösung finde,oder sie umsetzen kann.

In der Kindheit wird unser Weltbild, und damit das, was wir in der Welt sehen, geformt.

Deshalb ist es an mir als Erwachsenem, mein Kind zu respektieren und entweder überzeugend genug zu erklären, warum ich Zähneputzen für wichtig halte, oder Alternativen zu finden die das Selbstbestimmungsrecht des Kindes nicht beschneiden. Eine Alternative wäre zum Beispiel draufzukommen, dass ich eigentlich nur möchte, dass mein Kind die Zähne putzt, weil man das so macht. Oder sich zu informieren und zu sehen, dass Zähneputzen für Zahngesundheit garnicht so wichtig ist, wie gerne getan wird.

Wir sind aber viele Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, und ziehen jeweils unsere eigenen Schlüsse aufgrund unserer Erfahrungen.

Somit liegt es natürlich im Bereich des Möglichen, dass jemandem das tägliche Zähneputzen trotzdem unglaublich wichtig bleibt. Und da wir ja auch Verantwortung für die Gesundheit unserer Kinder tragen, müssen wir nach bestem Wissen und Gewissen handeln – nachdem wir unsere Glaubenssätze geprüft haben.

Denn es macht einen immensen Unterschied, ob ich jetzt einfach bestimme, oder ob ich meine Verantwortung ernst nehme.

Wenn ich meine Verantwortung in allen Aspekten ernst nehme, kann ich den Willen meines Kindes nicht einfach übergehen. Ich bin dann motiviert, Kompromisse oder Alternativen zu finden. Dann singe ich zum Beispiel Zahnputz-Lieder und tanze dazu, oder es fliegt ein Flugzeug in den Mund meines Kindes, falls das besser klappt. Ich erkläre warum mir was wichtig ist, und wenn dann immernoch ein Nein kommt respektiere ich das. Oder nicht, weil ich es aus welchen Gründen auch immer nicht kann.

In dem Bewusstsein, meinem Kind jetzt Gewalt anzutun.

Das kann berechtigt sein, wenn es um das Ausüben schützender Macht geht. Wo die Notwendigkeit beginnt und aufhört, das ist für jeden anders. Deswegen sollten wir hier immer wieder anerkennen, wenn wir Gewalt anwenden. Gemeinsam mit anderen darüber reflektieren, wie das in einigen Facebook-Gruppen unermüdlich und immer wieder gemacht wird. Vielleicht haben wir eine friedliche Option übersehen. Womöglich liefert jemand tolle Argumente, mit denen wir unsere Meinung nochmal überdenken können. Oder wir haben nur nochmal drüber nachgedacht und finden unser Handeln noch immer richtig.

Und dann sagen wir unserem Kind, warum wir diese Grenzen überschritten haben.

Wenn eine Entschuldigung angebracht ist sollten wir sagen, dass es uns Leid tut, falls es das tut. Wichtig finde ich anzuerkennen, wenn es suboptimal gelaufen ist und das auch dem Kind zu vermitteln. Es soll sehen, dass wir lieber seine Grenzen achten und diese nur im (gefühlten) Notfall überschreiten.

Gewaltfrei motivierter Umgang lässt sich in keine Schablone pressen.

Es zählt nicht so sehr, wie es von außen aussieht, sondern mit welcher Intention die Menschen sich begegnen und in Kontakt treten.

Diese Definition war für mich bis jetzt am haltbarsten.

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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

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