Sternenmama

„Mein Kind ist tot.“ – Veronikas Kind wurde nur 14 Monate alt – Sternenmama-Projekt

Über den Tod wird in unserer Gesellschaft viel zu wenig gesprochen. Er soll hinausgezögert werden, besiegt. Und doch holt er uns immer wieder ein, weil er eben doch ein Teil des Lebens ist. 

Sollten wir ihn nicht lieber kennenlernen? Seine Existenz anerkennen und wieder einen bewussteren Umgang suchen?

In einer Geburts-Gruppe auf Facebook starben in relativ kurzer Zeit mehrere Babys, was das Thema nochmal deutlicher in mein Bewusstsein gespült hat. Ich hatte keine Ahnung, was diese Mamas von verstorbenen Kindern nun wollten und brauchten.

So kam das Sternenmama * -Projekt zu Stande.

Ich wollte vor allem Müttern eine Plattform bieten, die ihre Kinder verloren hatten. Was braucht eine Frau, deren Kind gerade gestorben ist? Wie kann man eine Sternenmama sinnvoll unterstützen, ohne sich aufzudrängen?

Inzwischen sammle ich wegen dieser und anderer Fragen Geschichten zu allem, was mit dem Tod zu tun hat. Irgendwann wird es vielleicht ein Buch dazu geben.

Nun erzählt Veronika als erste Sternenmama vom Tod ihres Sohnes.

Unter welchen Umständen ist dein Kind gestorben?

Mein Sohn war sehr krank (schwere Lungenentzündung und Verdacht auf Meningitis mit folgender Sepsis und ein paar zusätzlichen Sachen) und wir lagen mit ihm seit über neun Wochen in der Kinderklinik. Ich schlief ausnahmsweise zu Hause, als wir früh morgens den Anruf bekamen, dass unser Sohn einen Herzstillstand gehabt hatte, er reanimiert wird und wir kommen sollten. Er starb dann in unserem Beisein ein paar Stunden später. Er war unser erstes Kind und 14 Monate alt.

Kam es plötzlich oder gab es Anzeichen?

Es gab kleine Anzeichen, die wir aber nicht wahrnahmen und das Personal auch nicht. Erst im Nachhinein habe ich es etwas klarer sehen können. Also es kam für uns sehr plötzlich. Aber als wir unseren Sohn an dem Tag sahen, wo wir den Anruf bekamen, war mir klar, dass er im Sterben liegt.
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Quelle: Pixabay

Ist die Schuld-Frage ein großes Thema (gewesen)?

Ja. Also nicht direkt aber indirekt ständig und immer wieder. Hätten wir es früher sehen können. Anders handeln können usw… dieses typische „hätte hätte hätte“ im Kreis drehen. Es war aber nie Thema in unserer Partnerschaft.
Unser Sohn hatte auch Trisomie 21 (Down-Syndrom). Die Ärzte meinten, er hätte einen Immundefekt gehabt, weswegen er so reagierte wie er reagierte. Da war diagnostisch noch viel mehr, aber das würde nur überfordern das alles zu lesen. Also er hatte nichts am Herz oder sonst irgendwo was ihn sonderlich beeinträchtigt hatte. Ich denke, es war vielleicht zum Teil ein Immundefekt (irgendwas war damit auf jeden Fall) und zum Teil mangelnde Fachkompetenz der Ärzte. Sie haben uns nicht ernst genug genommen und alles „bekämpft“ was wir für gut hielten…
Mittlerweile ist da auch Wut. Aber damals war da nur Hilflosigkeit. Ich wollte nur mein krankes Kind stillen, aber die Fachleute sagten, er wäre zu leicht uns müsste Brei bekommen und das wäre keine adäquate Ernährung für einen Einjährigen.

Auf welche Weise veränderte der Tod deines Kindes dein Leben?

Unser Kind wurde aus unserem Leben gerissen. Ein paar Wochen nach dem Tod endete automatisch meine Elternzeit. Ich ließ mich krank schreiben und versuchte, irgendwie damit klar zu kommen, dass mein bisheriger Lebensinhalt plötzlich nicht mehr da war.
Ich stellte meine bisherigen Lebensvorstellungen (Familie mit vielen Kindern) in Frage und war mir nicht sicher, ob ich irgendwann überhaupt noch Kinder haben würde. Als ich dann arbeitete, war ich bei weitem nicht mehr so belastbar. Posttraumatische Belastungsstörung, habe ich dann später gelernt, heißen die Symptome, die ich hatte.
Ich wurde dem Leben gegenüber viel dankbarer und wertschätzender. Ich war sehr glücklich, dass ich wenigstens diese 14 Monate mit meinem Sohn hatte und dass er das Leben von uns so bereichert hat.
Durch ihn haben wir tolle neue Freunde kennengelernt, deren Sohn ist nun unser „Ersatzbruder“ für unsere Kinder.
Wir haben damals eine Selbsthilfegruppe für Eltern mit Down Syndrom Kindern mitbegründet. Diese ist heute immer noch in unserer Leitung und wir vernetzen regelmäßig die Familien, die stetig mehr werden, untereinander.

Was war am Schlimmsten in der Zeit rund um den Tod deines Kindes?

Was ich danach festgestellt habe: Ich kann keinen Smalltalk mehr führen. Alles führte unweigerlich auf das Thema des verstorbenen Kindes und es ging ständig ins Fettnäpfchen. Ich hasste diese mitleidigen und geschockten Reaktionen. Ich mag sie heute immernoch nicht gerne. Schlimm war auch, nicht zu wissen wohin mit mir.

Was hättest du von deinem Umfeld gebraucht?

Das kann ich heute immer noch nicht wirklich sagen… es kommt immer auf die Personen an. Mit manchen hätte ich gern drüber geredet, aber mit anderen gar nicht. Und die einen haben es aber vermieden, andere haben es angeboten und ich habe mich nur gefragt, warum ich Bitteschön mit denen darüber reden soll, weil ich ja die Reaktionen nicht mochte und keiner wirklich wusste, wie es mir geht. Es hatte ja keiner wirklich selbst durchgemacht.
Und die, die selbst ihre Kinder verloren hatten, mit denen wollte ich nicht darüber reden.

Was hat dir am besten geholfen, die erste Zeit zu überstehen?

Planen, also Beerdigung planen und vorbereiten, Fotos sortieren, entwickeln und in Alben kleben, Grabgestaltung und überlegen wie der Grabstein aussehen soll. Ich habe Musik gehört mit Kopfhörern, die zu meiner Stimmung passte, in Dauerschleife. Wir hatten von einem Verein in der Nähe eine ehrenamtliche Trauerbegleitung gehabt. Meine Freundin hatte für uns gekocht am ersten Tag, unser Lieblingsessen. Wir hatten zwar keinen Hunger, aber essen muss man ja irgendwas und gekocht hätten wir uns nichts. Und wir haben ein Nachgespräch geführt, mit dem Oberarzt, bei dem wir alle Punkte loswerden konnten, die uns störten.

Nach ungefähr einem halben Jahr haben wir eine Trauergruppe für verwaiste Eltern gefunden.

Ein paar Monate später habe ich mich dann auch mal getraut, den Leiter anzuschreiben und dann sind wir einmal im Monat dort hin. Das war sehr hilfreich für uns!
Ich habe eine Schatzkiste, in der habe ich alle mir wichtigen Erinnerungen von meinem Sohn aufgehoben.
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Quelle: Veronika


Kannst du dir erlauben, dich trotz der Veränderung/ dem Loch in deinem Leben manchmal glücklich zu fühlen?

Ja, ich bin regelmäßig glücklich und auch zufrieden mit meinem Leben. Zwischendrin gibt es immer mal wieder Tiefpunkte. Aber sie werden immer kürzer und seltener, mit der Zeit.

Was wünschst du dir jetzt von deinem Umfeld, bezüglich des Todes deines Kindes?

Ich möchte darüber normal sprechen können. Ich hätte natürlich gern, dass der Geburtstag und Todestag weiterhin berücksichtigt wird. Dass unsere Ängste und Sorgen, die sich auf die anderen Kinder und Lebensbereiche übertragen, ernst genommen werden.

Was wünschst du dir von der Gesellschaft, um Eltern den Verlust ihrer Kinder zu erleichtern?

Flächendeckend sofortige psychologische Unterstützung wie Selbsthilfegruppen, bei denen man aufgefangen wird. Offen darüber reden können, ohne Fettnäpfchen.
Ich wünsche mir mehr Aufklärung über den Trauerprozess. Jeder kommt ja damit in Berührung und es ist alles irgendwie ähnlich. Nur spricht man ja nicht drüber…

Was möchtest du Menschen raten, in deren Umfeld ein Kind gestorben ist?

Traut euch, eure „Hilfe ich weiß nicht was ich sagen soll-Gedanken“ auszusprechen. Hier eine Karte, ein Brief, ein Foto. Eine Erinnerung, die aufgeschrieben ist, oder ein „ich denk an dich“ ist viel mehr wert, als gar nichts.
In unserer Trauergruppe wurde es mal so beschrieben: Der Trauernde fühlt sich wie mit Ohrenschützern im Nebel sitzend in einer Parallelwelt, während das normale Leben einfach so weiter läuft.
Wie betäubt und gelähmt. Irgendwann taucht man wieder auf.

Hat der Prozess mit allem, was zum Verlust deines Kindes dazugehört, dein Leben in irgendeiner Weise bereichert?

Ja, definitiv.

Es bereichert mich immer wieder, wenn ich neue Erkenntnisse gewinne, über meine Psyche. Ich hätte mich nie von selbst damit auseinandergesetzt.

Unsere Beziehung in der Partnerschaft ist viel intimer geworden. Natürlich gibt es immernoch Traumata, die darauf warten, irgendwann aufgearbeitet zu werden. Aber auch das ist danach eine Bereicherung. Nur eben erst nach dem Aufarbeiten.

Was noch bei deinen Fragen fehlt ist: Wie lange ist der Verlust her?

Das ist nämlich für viele wichtig. Also die Frage wann es besser wird und ob es besser wird.
Es ist bei uns 4 Jahre und 2 Monate her.
Hui, krass, so lang schon!

Es verändert sich nach dem ersten Jahr etwas.

Wenn alle Termine einmal ohne Kind gewesen sind.
Im zweiten Jahr erlebt man es nochmal anders, weil da die „Watte“ dann weg ist.
In unserer Trauergruppe waren auch welche, die fanden das 2. Jahr schlimmer, weil es einem dann alles viel bewusster wird.

Welche Worte kannst du anderen Eltern mitgeben, die ihr Kind verloren haben?

Schafft euch Erinnerungen, haltet sie fest, in irgendeiner Weise. Sucht euch andere, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben. Ihr seid nicht die einzigen! Jeder trauert anders, auch innerhalb der Partnerschaft. Gebt euch Freiraum, aber sprecht aus, was ihr denkt.

Danach ist das Herz ein bisschen leichter.

* Wenn ein Kind während der Schwangerschaft stirbt, wird oft von „Sternchen“  oder „Sternenkindern“ gesprochen. Ich habe in diesem Zusammenhang die Bezeichnung „Sternenmama“ für die Mütter der toten Kinder gewählt, denen ich ursprünglich eine Plattform anbieten wollte.
Wenn du deine eigenen Erfahrungen teilen möchtest, nicht nur als Sternenmama, sondern allgemein im Zusammenhang mit dem Tod, melde dich gerne. 
Sollte dir der Beitrag gefallen oder gar geholfen haben, freue ich mich, wenn du ihn teilst. 
Gerne nehme ich einmalige Spenden oder fortlaufende Patenschaften an, um meine Tätigkeit finanzieren zu können.
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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

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