Ich habe Sabine Sponers Text vom 2.12.2020, dem ersten Todestag ihres Sohnes gelesen, und war tief berührt.
Wie kann man wieder ins Leben zurück finden, wenn das allerschlimmste, was man sich als Elternteil vorstellen kann, passiert?
Welche praktischen Folgen hat der Verlust ihres Kindes für sie?
Lässt der Schmerz nach?
Kann sie wieder fröhlich sein?
Nach Veronika ist Sabine die zweite Sternenmama, die ihre Geschichte hier teilt.
Der erste Todestag.
Heute ist es also soweit…
Ich habe auf diesen Tag hin gefiebert, denn wenn ich das erste Trauerjahr schaffe und heil überstehe, dann schaffe ich bestimmt auch den Rest.
Mittlerweile habe ich Muskelkater im Herzen.
Ohne Witz.
Ich wusste nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.
Aber warum auch nicht?
Das Herz ist schließlich auch ein Muskel, und wenn dieser Muskel sich ständig verkrampft, dann entsteht nun mal Muskelkater…
Ich spüre diesen Muskelkater vor allem Nachts, es zieht in der ganzen Herzgegend und ich versuche dann, den Brustbereich zu dehnen.
Das funktioniert ganz gut gegen den körperlichen Schmerz, der seelische jedoch bleibt…
Vor einem Jahr war meine Welt absolut perfekt, der Tod meines Sohnes hat mir diese Perfektion in Vollendung radikal genommen.
Und das innerhalb nur einer Sekunde, mit nur einem einzigen Satz von meinem Papa.
„Binerle, etwas ganz schlimmes ist passiert. Der Felix ist gestorben“.
Dann fiel ihm der Hörer aus der Hand und mir sackten die Knie weg. Ich kann dieses Gefühl bis heute nicht wirklich beschreiben.
Das Adrenalin sauste durch meinen Körper aber ich verstand sofort, ich akzeptierte sofort und es war, als wären meine Sinne auf einmal viel stärker.
Ich kann mich bis heute an unglaublich viele Einzelheiten erinnern. Auch später, in den Tagen danach und auf der Beerdigung.
Als mein Verlobter vor vielen Jahren starb, war es genau anders herum.
Damals fühlte ich mich total gedämpft. So, als wäre ich in einem Kokon aus schützender Watte.
Drei Stunden nach der Todesnachricht kauerte ich in der tiefsten Verzweiflung meines bisherigen Lebens am Boden vor dem Bett, in dem der tote Körper meines Kindes lag.
Diese schockierenden Bilder sind nach wie vor sehr präsent in meinem Kopf.
Die eiskalte Haut die sich anfühlte wie Wachs, mein mütterlicher Instinkt, ihn unbedingt wärmen zu müssen. Die kalten, starren Lippen die ich ein letztes mal geküsst habe, die Hand die ich nicht mehr halten konnte weil sie bereits vollkommen steif war.
Das Gefühl, vor einer fremden Puppe aus Wachs zu knieen, die aber doch so vertraut war.
Es war der schmerzvollste Abschied den ich je erlebt hab, aber er war auch unglaublich wichtig und wertvoll für mich.
Ich musste mich in diesem Jahr von so vielem verabschieden…
Was ist passiert in diesem ersten Trauerjahr?
Ein paar Tage nach Felix Tod sind wir umgezogen.
Ich musste sein Kinderzimmer und die Wohnung, in der wir viele Jahre sehr glücklich waren, schneller hergeben als mir lieb war.
Mein sehr erfolgreiches Fotostudio starb zusammen mit meinem Kind.
Fast alle Aufträge wurden nach unserem Schicksalsschlag abgesagt.
Die Menschen hatten Angst davor, der „Frau mit dem Schicksal“ zu begegnen, ihr in die Augen zu sehen.
Sie wollten mich in meinem Trauerprozess nicht stören und so konnte ich auf verschiedenen Social-Media-Kanälen beobachten, wie immer mehr meiner jahrelangen Stammkunden zur Konkurrenz wechselten.
Auf einmal hatte ich keinen Job mehr, keinen Verdienst, und Corona gab dem ganzen dann den ultimativen Todesstoß.
Da ja von heute auf morgen auch noch das Kindergeld sowie der Unterhalt fehlte, konnte ich auf einmal finanziell nichts mehr zu unserem Leben beitragen.
Das war völlig neu für mich und ich tat mich anfangs unglaublich schwer damit.
Mein Mann fing mich mit offenen Armen auf – zum Glück.
Trotzdem war es ein riesiger Prozess für mich einfach mal gar nichts zu tun und kein eigenes Geld mehr zur Verfügung zu haben.
Zudem verlor ich in diesem Jahr viele meiner früheren Freunde.
Sie meldeten sich einfach irgendwann nicht mehr bei mir.
Sie verschwanden aus meinem Leben mit dem Satz: „wenn du was brauchst, dann kannst du dich ja jederzeit melden“.
Aber das funktioniert leider nicht.
Man darf einen Menschen in tiefer Trauer nicht zum Bittsteller machen.
Das erniedrigt diesen Menschen noch mehr in seinem verzweifelten Glauben „es“ nicht alleine zu schaffen.
Trauernde haben meist keine Kraft, um Hilfe zu bitten – so einfach ist das.
Und so betrauerte ich auch noch diese verlorenen Freundschaften, und tue dies teilweise bis heute.
Aber ich freue mich auch über die Menschen, die „neu“ hinzugekommen sind in mein Leben.
Die ohne Worte einfach da waren. Danke.
Das Leben wird vorwärts gelebt – aber rückwärts verstanden…
Also ging ich immer weiter in diesem seltsamen Jahr.
Und wenn ich fiel, dann blieb ich kurz liegen, sammelte mich wieder und stand erneut auf.
Immer wieder…
Irgendwann kam auf einmal unser Hund in mein Leben – und dass, obwohl ich niemals einen Hund wollte.
Milo war mein Retter, Tag für Tag zwang er mich, raus in die Natur zu gehen und ich lief und lief und lief. Viele Stunden jeden Tag.
In dieser Zeit kümmerte ich mich ausschließlich um mich und meine Trauer – und das tu ich bis heute.
Als uns Corona dann komplett ausbremste, beschlossen wir, unsere neue Wohnung umzubauen. Wir bauten den Speicher aus und es entstand ein wunderschöner, neuer Raum für meine berufliche Umorientierung, die 2021 hoffentlich ansteht.
Meine restlichen Ersparnisse stecken nun in unserer Wohnung und ohne Felix Tod hätte ich mich nie getraut, diesen Schritt zu gehen.
Viele Glaubenssätze hielten mich immer schon davon ab, an mein heiligstes Erspartes zu gehen. Bereits als Kind hatte ich bei jedem Weltspartag stolz meine volle Sparbüchse in die Bank gebracht um diese Summe anzusparen. Dieses Sparbuch war für „Notfälle“ und ich hab es niemals angerührt.
Aber jetzt war ich plötzlich an einem Punkt an dem mir klar wurde, dass ich dieses Geld niemals ausgeben würde.
Es war nur mein Ego, der dieses Geld „auf der hohen Kante“ brauchte um beruhigt zu sein. Um mich in Sicherheit zu wiegen.
Aber gab mir das wirklich Sicherheit?
Mein Sohn war von jetzt auf gleich gestorben.
Ohne Vorwarnung, einfach so. Das gleiche konnte mir auch passieren, jederzeit, und was hatte ich dann von meinem heiligen Ersparten?
Nichts…
Also konnte ich es auch anderweitig einsetzen…
Und so entstand in diesem Jahr unser schöner Sonnenspeicher – mit extra viel Licht für die Seele – und es macht mich unglaublich glücklich so ein schönes Zuhause zu haben in dem ich mich rundum wohl und daheim fühle.
Bis auf wenige Ausnahmen war ich das komplette erste Trauerjahr einfach Zuhause…
So etwas gab es in meinem Leben noch nie und ich hätte mir das bis vor 1 Jahr auch niemals vorstellen können.
Kein Job, keine Reisen und 3-4 Tage und Nächte pro Woche komplett alleine mit unseren Fellnasen.
Dieses Jahr war so wertvoll für mich.
Ich konnte meinen riesigen Trauerberg Stück für Stück abtragen. Im Grunde habe ich mich fast ausschließlich mit meiner Trauer beschäftigt. Ich habe in diesem Jahr keinen einzigen Schluck Alkohol getrunken, keine Tabletten genommen – ich habe nichts, aber auch gar nichts verdrängt.
Wenn die Tränen kamen, dann waren sie willkommen und durften sein.
Der tiefe Schock ist noch immer in meinen Zellen verankert. Das spüre ich täglich. Trotzdem habe ich es mittlerweile geschafft, wieder glücklich zu sein.
Ich habe den Tod meines Sohnes akzeptiert.
Ich habe ihn angenommen und die Trauer darf von nun an bei mir sein wie eine liebe Freundin. Sie ist ein Teil von mir geworden…
Mein Umfeld sagt, ich hätte mich sehr verändert in diesem Jahr.
Ich wäre sanfter und einfühlsamer geworden.
Liebevoller und ausgeglichener aber auch nachdenklicher und stiller.
Ja, der Sekundentod meines Kindes hat mich verändert.
Ich habe 6 kg zugenommen und zum ersten mal in meinem Leben habe ich nicht das Gefühl, ganz dringend eine Diät machen zu müssen. Zum ersten mal kann ich diese Gewichtszunahme einfach akzeptieren. Wenn 6 kg Speck auf meinem Hintern mein einziges Problem wären, dann würde ich noch in einer anderen, oberflächlicheren Welt leben.
Und ich bin tatsächlich viel spüriger geworden. Ich nehme die Gefühle anderer Menschen sofort wahr, ich weiß intuitiv, was in ihnen vorgeht und wo sie gerade „drin stecken“.
Auch Felix kann ich mittlerweile sehr gut fühlen. Ich spüre seine Energie wenn er mir ganz nahe kommt und kann das in vollen Zügen genießen ohne dabei traurig zu werden.
Ich führe jetzt ein komplett anderes Leben – aber mein Leben 2.0 fühlt sich deshalb nicht schlecht an.
Im Gegenteil.
Wenn ich ehrlich bin, überwiegen die glücklichen Momente wieder und da ich „traurig sein“ mittlerweile nicht mehr als „etwas schlechtes“ bewerte, geht es mir tatsächlich gut.
Ich spreche viel von und mit meinem Engel, er gehört zu meinem Leben dazu, so wie er seit 14 1/2 Jahren dazu gehört.
Mit Körper oder ohne – er ist bei mir, es geht ihm gut und in seinem letzten Brief an mich, den ich 2 Tage nach seinem Tod in seinem Schulranzen fand und den ich zu Weihnachten bekommen sollte, schrieb er:
„Liebe Mama, du sollst wissen, dass ich dich über alles liebe und denk immer daran, unsere Verbindung wird niemals enden. (…) Der Tod ist nicht das Ende…“
In LiebeEure Sabine Sponer mit Felix im Herzen ❤️
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Hallo Sabine,
ich habe deinen Artikel in der Donauwörther Zeitung gelesen und er hat mich sehr berührt.Wir haben fast das gleiche Schicksal, bei mir ist mein Mann vor 4 Jahren gestorben. Ich fiel in ein tiefes Loch und eine Freundin hat mir geraten Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese habe ich genau wie du über ein Medium gefunden. Unser Zeichen ist ein weißer Schmetterling, der mich überall begleitet. Ob auf meinen Reisen, auf dem Weg zur Arbeit oder an seinem Grab. Mein Trost ist, ich weiß von meinem Mann, dass es ihm in der anderen Welt gut geht und er mit sich im Reinen ist. Trotzdem ist es für mich sehr schwer ohne ihn. Ich kann mit meinen Kindern/Familie über diese Sachen nicht reden, sie blocken sofort ab. Das ist für mich sehr schade. Manchmal könnte ich so viel erzählen, da ich 2 mal im Jahr eine Sitzung besuche und meine Informationen von oben bekomme. Zwischenzeitlich auch von meinen Eltern, die beide auch verstorben sind. Da gibt es Dinge, die kann sonst keiner wissen und ich würde so gerne mit jemandem darüber reden. Und jetzt habe ich deinen Artikel gelesen und weiß, es geht jemandem genau wie mir. Das gibt mit Mut und Kraft für die kommende Zeit.
Vielen Dank für deine Offenheit.