Wie wohl alle motivierten Eltern habe ich mir natürlich zum Medienkonsum, speziell dem Fernsehen, meiner Nachkommen Gedanken gemacht. Fernseher und Internet waren in meinem Leben überaus wichtig und haben mich mit Inhalten teils sehr stark geprägt. Heute könnte ich ein Loblied auf Facebook singen, wo ich dank gezielter Nutzung so unglaublich viel großartiges für mich herausziehen kann, dass Worte dem wahrscheinlich nie gerecht werden können. Ob das so bleibt, wird die Zensur-Politik entscheiden.
Die gezielte Nutzung ist jedoch der Schlüssel-Faktor.
Sie macht Facebook und das Internet im Allgemeinen für mich zu einem wertvollen Werkzeug. Wie kann ich nun dafür sorgen, dass meine Kinder diese Möglichkeiten ebenfalls produktiv für sich nutzen können? Die einen empfehlen selbstbestimmte Nutzung und freien Zugang, da es dann nichts besonderes, nichts neues mehr ist. Andere sehen große Gefahren in den digitalen Medien.
Ich halte beides für relevant.
Ursprünglich tendierte ich zur begleiteten Selbstregulation, habe aber nochmal gründlich reflektiert nachdem ich bemerkte, was es mit mir machte, keine Videos mehr anzuschauen. Deshalb habe ich mich intensiver mit dem Thema auseinander gesetzt, und nachdem ich schon etliches an Kritik zu Spitzer kannte, wollte ich nun auch selbst das Buch lesen, um mir ein detailliertes Bild zu machen und mehr relevante Faktoren kennen zu lernen.
„Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen.“
So lautet der Untertitel zu dem Buch „Digitale Demenz„, in dem Dr. Manfred Spitzer uns erklären will, dass „man“ nach zwei Stunden Fernsehen oder virtuellem Schießen auf nichts mehr Lust hat, nach der Lektüre eines guten Buches aber zufrieden ist.
So ausgedrückt ist das aber Mist. Und zu derartigen Formulierungen und Schlussfolgerungen lässt sich der Autor leider mehrmals hinreißen.
Fernsehen macht aber nicht zwangsläufig süchtig.
Zu echter Sucht gehört viel mehr, als nur der freie Zugang zu einer Droge, wobei auch das eine Rolle spielt. Genausowenig führt das Medium zwangsläufig zu Bewegungsmangel. Schließlich turnen manche Kinder vor dem Fernseher, tanzen nach, was sie dort sehen. Was zur nächsten These führt, dass man aus dem Fernsehen angeblich nichts lernen kann. Unzählige informative, lehrreiche Videos die tagtäglich freiwillig von Interessierten angesehen und teils sogar bezahlt werden, erzählen eine andere Geschichte.
Richtig eingesetzt kann das Format Video(spiel) sogar wertvoll sein!
Dass Videos im Klassenzimmer Einzug gefunden haben, hat leider nicht so funktioniert, wie sich viele das ausgemalt haben. Während E-Learning-Tools anstatt der Schultafel und des Schreibheftes für kleine Kinder überwiegend schlicht versagen, können wir aber die Form der Übermittlung nicht für das Scheitern der Verständlichmachung von Bildungsinhalten verantwortlich machen. Es gibt keinen Nürnberger Trichter, mit dem Kinderköpfe ohne Bezug zum Inhalt befüllt werden können.
Lernen passiert auf vielen Ebenen und lebt von der Verknüpfung.
Allem voran braucht es Begeisterung und Faszination!
Die Inhalte sollen auf möglichst vielen Ebenen erfahren und im Idealfall auch selbst erarbeitet werden. Dann ist Lernerfolg garantiert.
So kam Maria Montessori auch zu der Beobachtung, dass Kinder die einen Buchstaben mit dem Tastsinn kennenlernen, diesen später auch leichter lesen und schreiben können.
Zum erschwerten Erwerb des Lesen und Schreibens, sofern es nur anhand digitaler Medien nahegebracht wird, führt Dr. Spitzer im Buch Studien auf.
Auf einem Bildschirm zu schreiben, ob nun mit Tastatur oder Stift, erzielt weit schlechtere Ergebnisse, als mit Stiften auf Papier zu schreiben.
Das ist für mich auch leicht nachvollziehbar. Mit einem Bleistift etwa kann ich Druck variieren, und ich sehe sofort einen Unterschied auf dem Papier. Der Stift hinterlässt zuverlässg eine Spur, wenn ich ihn benutze. Ich habe kein Risiko, andere Funktionen zu öffnen, wenn ich die falsche Stelle antippe. Und ich habe Papier vor mir, anstatt einer möglicherweise beleuchteten Fläche.
Für noch wichtiger als Lernerfolge halte ich allerdings die Prägung, die mediale Inhalte bewirken.
Der „Werther-Effekt“ beschreibt den Umstand, dass die Selbstmord-Rate ansteigt, wenn ein sympathischer Charakter den Freitod wählt, lässt sich aber auf alle anderen Verhaltensweisen übertragen.
Je detaillierter oder auch romantisierter die Beschreibungen, desto stärker der Effekt.
Menschen, als empathische Wesen, fühlen sich ein, und neigen, wenn auch oft unterbewusst, zur Nachahmung. Zum gleich-sein-wollen, der Suche nach Zugehörigkeit. Wir speichern ab, welches Handlungsspektrum uns zur Verfügung steht, um mit Situationen umzugehen. Und wenn wir keine guten, erfolgversprechenden Strategien kennen, ahmen wir womöglich Fatales nach.
Es geht aber nicht nur um Nachahmung, sondern dass alles realer, normaler, alltäglicher wirkt, je mehr wir es in unserer Umgebung wahrnehmen.
Das ist gut so, denn es gibt Dinge, an die sollten wir uns gewöhnen. Eltern zum Beispiel haben ein viel leichteres Leben, wenn sie nicht jedes Mal kreischend zusammenbrechen, weil ein Tropfen Pipi irgendwo anders als geplant landet.
Wir lernen aber je nach Inhalt und Häufigkeit etwa, wie lecker ein Maxi King ist, und dass es fast eine Party ist es nur in der Hand zu halten. Dass man nur mit diesem und jenem Spielzeug wirklich Spaß haben kann. Wenn es langweilig wird, gibt es Zubehör.
Wir können lernen, dass Mobbing und Lästern zum Alltag gehört.
Je mehr wir im Fernsehen auf Ausgrenzung vorbereitet werden, desto selbstverständlicher wird sie. Dann tendieren wir sicher nicht immer, aber viel eher dazu die Ausgrenzung als normal, unumgänglich zu bewerten. Während alternative Umgangsformen eines respektvollen Miteinanders im Bewusstsein von manchen Kindern und Erwachsenen teils nicht existieren. Maximal als realitätsferne Utopie.
Wenn also selbstbestimmter Umgang mit dem Format Video gewählt wird, halte ich für die ersten Jahre akribisch genaue Auswahl der Inhalte, oder mindestens sehr enge Begleitung beim Konsum für notwendig.
Denn nein, ich zähle nicht zu den Menschen, die das Format per se für gefährlich halten. Ich erkenne jedoch die hypnotische Wirkung an, welche es mit sich bringt, und uns nachhaltig beeinflusst.
Zudem sammle ich gern Beobachtungen. Und was ich an eigenen und fremden Beobachtungen zusammengetragen habe lässt mich zu dem Schluss kommen, dass bei gut genährten Kindern freier Zugang zu digitalen Medien nicht zwangsläufig zum Problem werden muss.
Viel mehr kann es tatsächlich eine Bereicherung sein.
Andererseits gibt es aber auch Familien, in denen das nicht gut klappt. Dann sitzt ein Kind zb ein Jahr lang viele Stunden am Tag vor dem Bildschirm und dreht völlig am Rad, wenn es am Spielplatz nicht auch noch gucken kann.
Es ist in solchen Fällen wichtig zu schauen, warum das so ist.
Oft ist die Ursache auch schnell gefunden, etwa in einer angespannten Familiensituation. Dabei tun die Verantwortlichen oft schon, was sie können, und es reicht eben nicht um das Kind nichts davon spüren zu lassen. Und auch sonst treten im Leben teils unkontrollierbare Einflüsse auf, die uns belasten.
Oder das Kind kann die Reizflut nicht bewältigen, und will zwar weiter konsumieren, wird dabei aber immer gestresster.
Das hypnotische Video-(Spiel-)Format hilft den meisten jedoch eher dabei, uns von Stress abzulenken.
Dabei wird aber eher verdrängt, auf später verschoben, als bewusst oder aktiv verarbeitet. Es ist dann eine Droge, die greift. Insofern also auch wertvoll. Aber langfristig kein geeigneter Umgang mit Stressoren, da wir so nicht durch den Stress durch gehen und anschließend damit fertig sind. Es dauert dann ewig, bis die Spannung, die ja auch im Körper bleibt, abgebaut ist. Wahrscheinlich kommen in der Zwischenzeit auch wieder neue Stressoren hinzu.
Dieser unterdrückende Umgang mit Stress ist ein gesellschaftliches Problem, weswegen nur wenige Eltern Bewusstsein dafür haben.
Nahezu niemandem von uns wurde gut genug begleitet um zu lernen, dass wir auch die schlimmsten Gefühle aushalten können. Kaum jemand hatte den sicheren Raum, in dem jedes Gefühl sein durfte, begleitet von engen Bezugspersonen die da waren und Geborgenheit boten. Die Mehrheit von uns wurde mit Gefühlen alleingelassen, oder beim unterdrücken unterstützt.
„Ist schon gut! Tut nicht mehr weh!“
Ich habe mich früh in Bücher geflüchtet, und so viel ich heimlich rausholen konnte auch super gern in Fernsehen. Natürlich wurde ich reglementiert und durfte nicht so lang, wie ich gewollt hätte.
Ich hätte aber tatsächlich nicht aufgehört und konnte später selbst an mir beobachten, dass es eine halbe Ewigkeit dauert, bis ich halbwegs runtergekommen bin mit Fernsehen. Ich hab das auch neulich wo gelesen, wo beobachtet wurde, dass Fernsehen den Stress eher betäubt als wegmacht. Als ich dann allein gewohnt habe kam ich immer mehr in Bedrängnis, weil ich nach der Schule so schwer runterkam und das Betäubungs-Fernsehen so lange dauerte, dass nicht mehr viel Zeit blieb um etwas anderes zu machen.
Das hat natürlich alle Schwierigkeiten potenziert.
Als Kind ging es wegen der Fremdregulation so halbwegs, und der Druck war noch nicht so intensiv und langanhaltend. Was ich inzwischen auf die Zwangszeit draußen zurückführe. Die Bücher der Bibliotheken waren irgendwann so langweilig, ich wollte Abwechslung/Reizüberflutung die sie mir nicht bieten konnten und die ich im Fernsehen eher gefunden hätte.
Stattdessen habe ich zb Tannenzapfen sortiert und aufgelegt. Oder anderes meditatives Zeug.
Meditation, frische Luft, Bewegung, Tageslicht,.. gesundheitsfördernde Faktoren, psychisch wie körperlich.
Als ich dann Kind 1 in den Armen hatte, kam ich kaum mehr zum Fernsehen oder sonstwie Videos gucken. Das hat mir ein ca halbes Jahr Abstinenz beschert, in dem sich auch sonst viel bewegt hat. Zb bezüglich meinem Körperbild. Außerdem habe ich begonnen so richtig zu meditieren, auch weil es mir wieder nicht gut ging.
Im Urlaub dann schlug mein Mann vor, einen Film zu schauen und mir fiel auf, dass mir das gerade viel zu viel Input wäre.
Ich hatte dann eine längere Zeit, in der ich wirklich nichts geschaut habe, dann langsam wieder so Vorträge, Sprech-Videos, Interviews, und inzwischen auch wieder Dokus, ganz selten.
So zweimal im Jahr bin ich irgendwo bei einem Fernseher und fühle mich danach, mir gängige Inhalte zu Gemüte zu führen.
Das hat in meiner Wahrnehmung und meinem Denken sehr viel verändert.
Ich war sehr stark geprägt von den Inhalten und unterschwelligen Botschaften des Fernsehens, und es geht mir viel besser, seit ich diesen Einfluss abgestellt habe.
Beim Lesen kann ich besser filtern, und es ist nicht so wie in der Schule, dass ich aussitzen muss bis irgendwas fertig ist, sondern kann Irrelevantes überfliegen. Für Videos bin ich inzwischen also auch teilweise zu ungeduldig. Ich eigne mir Dinge lieber im eigenen Tempo an,wenn es um Information geht.
Um Informationen einzuholen und zum Genuss von ästhetischen bewegten Bildern mit Ton und ansprechenden Inhalten wird das Format einen Anteil in meinem Leben behalten.
Kind 1 tendiert übrigens ebenfalls zu Kompensation mit Video. Es gab bei uns fast durchgehend Schwierigkeiten, die ich nicht mal eben abstellen konnte, und es hat trotzdem zu seiner Zufriedenheit und Ausgeglichenheit beigetragen, wenn Video Tabu war. Kompromisse haben nicht funktioniert, weil dann der Tag nicht mit Gucken, sondern Diskussionen darüber gefüllt war.
Die Idee war Selbstregulation, was sicher bei vielen Kindern auch greift. Bei uns, unter unseren Umständen momentan nicht.
Andere Zeiten werden kommen, und dann sehen wir ob wir genug Strom und andere Ressourcen für solche Späße haben.
Unterm Strich beobachte ich, dass manche Kinder Video nicht so gut verarbeiten können, bzw wenn, dann eher langsame Filme, keine aufregenden Inhalte.
Dass meine Kinder, in den Situationen die ich bis jetzt beobachten konnte, zufriedener und ausgeglichener waren, ohne oder mit sehr wenig Video. Und dass vor allem und wie immer die Beziehung zählt. Das bedeutet eben auch, anzuerkennen wenn ein Kind sich auch nach einem Jahr noch nicht vom Fernseher wegbewegt, nörgelig und an nichts anderem mehr interessiert ist, dafür aber das Leben selbst, wenn ein paar Tage der Bildschirm nicht verfügbar ist.
Abschließend möchte ich noch anerkennen, dass in Zeiten der Not Bildschirme wunderbar etwas Druck von Eltern und Kindern nehmen können.
Langfristig halte ich das aus oben genannten Gründen für keine gute Idee. Aber es bringt auch nichts, sich Vorwürfe zu machen während wir schon alle tun, was wir können. Wenn die elterlichen Ressourcen unter den westlich-menschenunfreundlichen Umständen versickern, müssen wir irgendwie überbrücken und improvisieren. Manchmal sind zwei Stunden Kind vor der Kiste besser als Brüllen.
Welche Erfahrungen hast du gesammelt, mit Kindern und digitalen Medien? Welche Ansichten vertrittst du?
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Hallo Mira, min Sohn ist fast sieben und mein ziel ist auch die selbstbestimmte nutzung. die meiste zeit ist seine „filmzeit“ begrenzt und die inhalte überprüft und von mir begleitet. zwischendurch hab ich immer mal wieder phasen, wo ich denke „vielleicht kriegt ers ja doch selber hin?“ und dann kann er länger schauen. meistens artet das dann aber völlig aus. letztens wurde mir auch bewusst, dass es mir wichtig ist, dass er den unterschied kennt wischen etwas ansehen, weil es ihn interessiert und die zeit totschlagen. das hat ihn beschäftigt. ich habe so eine app auf dem tablet (das er für seine filmzeit benutzt) und die schaltet nach ablauf der vereinbarten zeit aus. Is zwar echt krass find ich, bringt aber ruhe in den ausschalte-prozess, weil er von der technik bestimmt wird und nicht von mir. die zeit haben wir vorher zusammen vereinbart. ich finde diese erfindung echt gut, auch wenn mein sohn sie manchmal verflucht. er hält sich aber immer öfter ganz selbstverständlich dran. LG an
Danke für deine Erzählung, An!
Es scheint, als hättet ihr mit der App eine gute Lösung für euch gefunden <3 Toll finde ich, wie du dich an seinem Befinden orientierst, bezüglich der Regulation.
Irgendwann wird er es sicher selbst gut hinkriegen, sich selbst zu regulieren - dafür legst du jetzt den Grundstein, indem du ihm Werkzeug an die Hand gibst 🙂
Alles Liebe euch!
Mira