Ich habe gelernt, ich kann 40 kg Gepäck und ein 10 kg Baby tragen. Ich kann monatelang Durchfall aus dem Gras kratzen, weil wieder irgendjemand gemeint hat, mein Kind kann selbstbestimmt Obst essen. Und das vorhergehende Gejammer aushalten. Ich kann mir täglich stundenlang ins Ohr brüllen lassen, während ich meinen Kindern zeige, wie wichtig ich es finde, dass sie alle ihre Gefühle ausdrücken können und dass sie trotzdem geliebt werden. Ich kann mir dann auch noch die Sermone von Erwachsenen anhören, für die ganz offensichtlich ist, was ich falsch mache.
Und ich habe es sowas von satt.
Seit über sechs Monaten bin ich nun mit zwei sehr sensiblen, bedürfnisstarken Kindern als einzige Bezugsperson unterwegs, und inzwischen dem Himmel sei Dank seit über drei Monaten an einem Ort. Weggefahren sind wir, weil mir zu Hause einiges zu viel war, und ich dort nichtmehr „Superfrau“ sein konnte. Ich will mich ganz ehrlich auch nicht über die Umstände beschweren in denen ich mich befinde, das habe ich mir alles selbst so ausgesucht. Wenn auch nicht ganz bewusst oder absichtlich. Trotzdem ist es momentan die beste Option, die ich sehe.
Es fühlt sich richtig an.
Und es funktioniert. Aber verdammt nochmal, das macht es trotzdem nicht zum Spaziergang. Ich habe tatsächlich überraschend lang ausgehalten, aber kurz vor Weihnachten war mein Limit dann überschritten. Hin und wieder hätte ich Erholungsphasen gebraucht, die ich mir nicht mit Kindergebrüll erkaufen musste. Ich wollte auch gerne in den Arm genommen werden, wenn ich einen anstrengenden Tag hatte. Oder einfach nur so, weil es schön ist, dass ich da bin!
Ganz selten passierte das auch.
Viel öfter wollten sich aber Leute um die Kinder kümmern, wenn wieder alles zu viel wurde. Mal auf produktive und mal auf weniger hilfreiche Art. Meistens bin ich als Mama jedoch die einzige, die das kann und darf. Das ist anstrengend, und oft hätte ich es gerne anders, aber die Kinder gehen nur von mir weg, wenn es ihnen gut geht.
Eigentlich super, weil es ein gesundes Bindungsverhalten anzeigt.
Doch wer kümmert sich um mich, während ich für die Kinder da bin?
Oder danach, wenn sie fertig sind mit weinen und der Alltag weiter geht. Rund um die Uhr bin ich für das Wohlergehen von drei Menschen verantwortlich. Das ist viel. Ich mache es so gut ich kann, und ich finde, dass ich es angesichts der Umstände richtig gut hinkriege, wenn ich mir so die Entwicklung anschaue. Es gibt immer Raum nach oben, aber was ich habe gebe ich. Mehr ist momentan nicht drin.
Was mich allerdings selbst immer wieder verblüfft ist, wie wenig ich brauche, um meine Ressourcen zu multiplizieren.
Ein wenig Mitgefühl, liebevolle Aufmerksamkeit, konkrete Unterstützung im Alltag bei scheinbaren Kleinigkeiten, einfach ein kleines bisschen mehr als „nur“ geduldet oder akzeptiert zu sein (doch auch das ist oft schon schwer zu finden), und ich kann nach kurzer Zeit gefühlt Berge versetzen. Warte ich mit zwei in meinen Armen tobenden Kindern, bis sich der Sturm legt, dann tut es unglaublich gut, wenn jemand im vorbeigehen meinen Rücken berührt um zu sagen „Ich sehe dich“, anstatt mir zuzuschreien, was denn los sei und was man tun könnte, damit diese Folter aufhört.
Deswegen ist es mir sehr wichtig, immer wieder ein bisschen Liebe zu verbreiten.
Und ich möchte auch dich dazu anregen, lieber Taten sprechen zu lassen, als vor Bewunderung staunend die Superfrauen und -männer in deinem Umfeld nur zu ihrer Kraft zu beglückwünschen. Was kann ich dir Gutes tun? Wie kann ich dir helfen? Wie kann ich dir eine Freude machen? Allein wenn solche Fragen in einem ruhigen Moment gestellt werden, ist das oft schon ein großes Geschenk.
Denn auch wenn ein Held gerade nicht überlastet ist tut es gut, gesehen und geliebt zu werden.
Ich finde es nebenbei bemerkt ziemlich kacke, wie wir uns immer wieder auf die Schulter klopfen dafür, wie weit wir unsere eigenen Grenzen überschreiten und schreckliche Dinge aushalten können. Viel wichtiger wäre doch, es irgendwie so hinzukriegen, dass es allen halbwegs ok oder, werden wir mal utopisch, gut geht. Das heißt, ohne dass jemand für das scheinbare Glück des anderen verheizt wird. Es wird ja oft sogar gefordert, dass wir uns zusammenreißen, jetzt aber endlich mal funktionieren sollen und das am besten ohne zu jammern.
Nur keine Schwäche zeigen, das ist für alle Beteiligten unbequem.
So erlebe ich das oft. Wenn du leidest, dann bitte heimlich. Wenn du überlastet bist nur leise weinen und um Himmelswillen keinem Ärger authentisch Luft machen. Das nervt und weckt Schuldgefühle, oder erinnert an ein Gefühl der Ohnmacht. Bitte belästige die Gesellschaft nicht mit so etwas. Warum nicht einfach Mitgefühl?
Warum ist es so schwer in Beziehung zu sein, ohne sich verpflichtet zu fühlen?
Weil man dafür in Kontakt mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen sein müsste. Wie kann man jemand anderem etwas erlauben, wovor man selbst mit aller Macht davon läuft? Es ist nichts persönliches, wenn unser soziales Umfeld nicht hinschauen und zulassen ohne ändern zu müssen, oder konstruktiv Anteil nehmen kann.
Deshalb ist die eigentliche Aufgabe von all den Superhelden, Schwäche zu zeigen.
Um Vorbild zu sein für die, die sich noch nicht trauen. Die noch garnicht in Erwägung ziehen, dass die Welt möglicherweise gar verbessert wird dadurch, dass sie artgerechte Voraussetzungen einfordern oder ihren Beitrag verweigern, um sich zu schützen. In den letzten zehn Jahren gab es ein paar Wochen, das war Frühling 2016, in denen ich eine kontinuierlich sonnige Grundstimmung hatte. Es ging mir trotz Schwierigkeiten gut! Das war sehr schön und neu für mich. Bis dahin hatte ich nicht mit Sicherheit gewusst, dass dieser Zustand für mich tatsächlich erreichbar ist.
Aber die letzten Monate waren hart, und es ging mir selten wirklich gut.
Viel öfter wollte ich mich einfach verkriechen und die Welt auf Pause stellen, um endlich wieder einmal auftanken zu können. Oberflächlich war alles okay, mein ‚Richtigkeitsgefühl‘ war fast immer präsent, aber die Reserven einfach aufgebraucht. Ich habe alle verfügbare Hilfe angenommen, wirklich mal locker lassen konnte ich jedoch sehr selten. Inzwischen geht es kontinuierlich bergauf, und ich ziehe mich an den Haaren aus dem Morast der abgelegten Glaubenssätze. Ohne schwach sein zu dürfen, um Hilfe und Unterstützung zu bitten (was sich teils eher wie betteln an fühlte), und mir zu erlauben, wenigstens teilweise zu ‚versagen‘, wäre das unmöglich gewesen. Das erzähle ich euch als meinen Beitrag, das Tabu zu brechen.
Ich bin keine Superfrau die alles schafft, und ich will auch keine sein.
Ganz ehrlich gesagt belastet es mich sogar eher, wenn Menschen mich als Superfrau betiteln. Ich weiß nämlich schon, dass ich irgendwann etwas tue, das sie ganz schrecklich finden werden. Schließlich kenne ich mich, meine Macken und die Hürden über die ich mich erst schwingen muss. Deswegen tun mir die einen Gefallen, die mir Menschlichkeit unterstellen. Ich fühle mich momentan nicht stark genug dafür, ständig Seifenblasen platzen zu lassen um dann mit der dadurch ausgelösten Ent-Täuschung konfrontiert zu werden. Und weißt du was?
Für mich ist es okay, wenn auch du unzufrieden, überlastet, oder sonst irgendwie unausgeglichen bist.
Wenn wir die Imbalance anerkennen und beobachten finden wir leichter heraus, was wir tun und lassen müssen, damit es uns nachhaltig gut geht.
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Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht (und diese Standpunkt war ein langer harter Weg), dass Schwäche und ein ‚Ich-kann-nicht-mehr‘ zu zeigen nichts Schlechtes ist. Sondern im Gegenteil. Du kannst dadurch erkennen und selektieren, welche Menschen dir eine gute Grundenergie im Leben geben können, genauso wie du diese auch zurückgeben kannst. Du weißt dadurch mit welchen Menschen du dich umgeben möchtest, aber nicht nur in dem Sinne von ‚Ich will dass du für mich da bist‘, nein, es ist eine wechselseitige Form des Energieaustauschs und es ist immer ein ausgewogenes Geben und Nehmen.
Ebenso – aber schon einen Schritt weiter – ist es gerade in Heilungsphasen, in der Zeit nach Zusammenbrüchen, einem ‚Ich-bin-kurz-davor-aufzugeben‘ eines der schönsten Dinge zu sehen, wie sich die Personen um Einem herum freuen, dass es offensichtlich wieder besser geht. Selbst ohne Worte und Kommunikation merkt ein Umfeld stark, wo man gerade ist – ich habe hierbei erst im Nachhinein erfahren und erzählt bekommen, wie sehr Freunde/näherer Lebensraum sich Sorgen machten, Dinge gesehen haben, aber auch oft eine Scheu da war, dies zu kommunizieren. Aber umso mehr kann man sich dann danach freuen, dass es wieder besser ist. Sowohl für einem Selbst und für alle darum herum, egal von welchem Standpunkt aus.
Und darum denke ich, man muss nicht immer Superwoman spielen, es macht einen doch noch viel viel stärker, zuzugeben schlechte Zeiten zu haben und diese überwinden zu können. Und wenn man dann noch immer weiter macht und einen draufsetzt, dass ist doch die wahre Superwoman oder? Aber man darf sich das auf jeden Fall wertschätzen lassen.
Ich halte sehr wenig davon ’sein Gesicht wahren zu müssen‘, lieber Tabus brechen und selber mehr leben können dadurch. Und auch wie du schreibst, erziehst du deine Kinder auch so. Ich kann nicht nachvollziehen wie es sein muss, für drei Charaktere ein Fels zu sein. An diesem Punkt allergrößte Hochachtung. Aber ich denke, du darfst auf jeden Fall auch zulassen nicht immer die Superwoman sein zu müssen, wie du es dir selber vorschreibst. Lieber ehrlich sein und alles zulassen und auch dein Drumherum wird es dir danken 🙂
Danke für deine Worte ❤
Ich frage mich nur gerade,ob du den Artikel zu Ende gelesen hast 🙂 In den letzten Absätzen steht nämlich unter anderem, dass ich garkeine Superfrau sein will. Es kotzt mich übelst an, wenn ich so über meine Grenzen gehen muss, damit ich das Leben von mir und meinen Kindern im Einklang mit meinen Werten gestalten kann. Es ist momentan aber der bestmögliche Weg. Ich mache alle Kompromisse die möglich sind, ohne dass wir krank werden, und bitte um mehr Unterstützung als die Leute mir gerne geben wollen.
Wir sind leider sehr, sehr, sehr weit weg von den Ansichten anderer Leute. Irgendwas ist zur Zeit immer schwierig, an unserem Gesamtpaket. Obwohl beide Seiten ehrlich bemüht sind. Und bis das Umfeld mir für meine Authentizität danken kann vergehen oft Jahre ?
Kommt Zeit,kommt Rat.
Aber im Grunde sind wir einer Meinung 🙂