Sexualität – Bedürfnisbefriedigung, Spiel oder Meditation?

Sex ist sexy, er macht interessant.

Gerade erst konnte ich die Kraft der Sexualität mit meinem recht reißerischen Einstieg zu einem Beitrag über Schwangerschaftsvorsorge verifizieren. Wen interessiert schon Schwangerschaftsvorsorge? Ich habe den Effekt genutzt, um auf eine wirklich tückische Dynamik aufmerksam zu machen, indem ich einen Aspekt überzeichnet habe.

Von jemandem lesen, der sich prostituiert hat, will fast jeder.

Auch in den Medien ist das, was interessant ist nicht die liebende, zärtliche Zusammenkunft zweier Menschen, die sich in- und auswendig kennen. Dieses Bild wird zwar romantisiert, aber es gibt in den Filmen keine funktionierenden Anleitungen. Sondern junge Frauen und Männer, die einige wenige Körpertypen repräsentieren zeigen uns, was scharf ist. Wie wir aussehen dürfen.
Interessant ist die schlanke Grazie, der schlacksige Jüngling, das kurvige Vollweib oder der muskulöse Hengst und ein bisschen etwas dazwischen. Vor allem Frauen räkeln oder schütteln sich dann, setzen sich als geile Fotze, unerreichbare Eiskönigin, schüchternes Mädchen von Nebenan, laszive Domina oder kleine Lolita in Szene.

Sie tun, was sie gelernt haben.

Gerade junge Mädchen und Burschen, die auf kein stabiles, meist familäres Umfeld zurückgreifen können, sehe ich früh auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Anerkennung, Nähe und Intimität. Sie bzw. wir sind auf der Suche nach dem Glück, und wurden von klein auf programmiert zu glauben, es wäre in der Partnerschaft oder, inzwischen mehr nur sexueller Befriedigung zu finden. Auch Erwachsene sitzen diesem Irrglauben teils noch auf, und je nach Typ etabliert sich dann auch eine Abhängigkeit von sexueller Aktivität.

So hören wir von Extremsituationen wie „Alter, ich lass mich doch nicht auf eine Beziehung ein bevor ich weiß, ob du gut fickst.“ Beim ersten Treffen.
Oder „Ach Schatzi, ich liebe dich über alles, aber du bist leider so fett geworden, dass ich keinen Sex mehr mit dir haben kann. Die 5 Kilo mehr turnen mich total ab. Deswegen lasse ich mich jetzt scheiden.“
Und von 13jährigen die sich gegenseitig Tips geben, wie der Analsex weniger weh tut, den sie ihrer großen Liebe nicht verwehren wollen.

Quelle: getwallpapersinhd.com
Quelle: getwallpapersinhd.com

Es kommt dazu, dass Partner sich gegenseitig unter Druck setzen, wenn die sexuellen Wünsche nicht erfüllt werden.

Nicht aus Böswilligkeit, sondern weil sie sich auf irgendeine Art gefangen fühlen. Etwa, da sie nicht wissen, wie sie ohne fremde Hilfe Entspannung oder Freude finden. Weil Frauen suggeriert wird, ihre Attraktivität wäre daran zu messen, ob jemand mit ihnen schlafen will. Auch die gesellschaftliche Verankerung der Monogamie kann ein Problem sein, wenn die Präferenzen weit auseinander liegen.

Die Sexualität war eine wirksame Strategie, sich in ihrer Haut wohl(er) zu fühlen.

Die Menschen geraten daher in echte Not, wenn niemand ihnen beim Anwenden der Strategie hilft. Wir lernen, dass wir abhängig und auf andere angewiesen sind, um unser Glück zu finden. Folglich verraten uns unsere Partner, wenn sie uns mit unseren Wünschen und Bedürfnissen allein lassen. Schließlich traf man doch diese Abmachung, füreinander da zu sein.

Sexualität sehe ich nicht als Bedürfnis.

Sie ist eine ganz großartige Bereicherung im Spektrum, sich mit Menschen liebevoll zu verbinden. Doch es gibt genügend Menschen, die ihr Leben gerne mögen, obwohl sie selten bis nie Sex haben. Manche davon sind sogar glücklich. Ich kenne kaum Menschen die es hinkriegen, in ihrem Körper zufrieden und glücklich zu sein, wenn sie nichts zu trinken oder zu essen haben, über Monate oder Jahre.

Was ist denn Sexualität? Wo fängt sie an, wo hört sie auf?

Ist das, wenn Penis und Vagina ineinander finden? Wie nennt man dann Intimität bei Homosexuellen? Was ist mit Oralsex? Und wenn nur die Hände Genitalien berühren? Was ist mit „sexting“ oder Telefonsex? Nennt man es auch Sex, wenn mir jemand zu Untersuchungszwecken etwas einführt?

Für mich fängt Sex im herkömmlichen Sinne bei meinem erotischen Empfinden an.

Es gibt dann nämlich noch die Esoteriker, die von Energie-Qualitäten sprechen. Auch da gibt es verschiedene Ansichten, aber die Grundlage ist meist, dass sexuelle Energie Lebensenergie ist. Damit hätten wir jedesmal Sex, wenn wir lebendig sind. Also immer.
Aber bleiben wir noch kurz beim Vögeln.

Sexualität und Partnerschaft sind heute nicht mehr untrennbar verbunden.

Doch sind wir beeinflusst von all den Märchen, in denen Prinz und Prinzessin sich endlich gefunden haben und nun, nach all den Strapazen, die Lösung all ihrer Probleme bekommen – ihre große Liebe, mit der sie sich fortpflanzen können. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Die Geschichte ist vorbei, alle Hürden überwunden.
Hollywood erzählt uns Film aus, Film ein die gleiche Geschichte, um zu zementieren, was uns die Gebrüder Grimm überliefert haben.

Wie realitätsfern diese Idee ist, können wir sehen, sobald wir die Augen aufmachen,

Denn in jeder langfristigen engen Beziehung, nicht nur in der Partnerschaft, stoßen wir irgendwann auf Grenzen und Herausforderungen. Deshalb sehen wir ja so viele familäre Dramen oder partnerschaftliche Tragödien. Und trotzdem läuft dieses Programm oft unentdeckt weiter, das uns handeln und fühlen lässt, als wären wir noch heute kleine Kinder, angewiesen auf die Gunst des Umfeldes.

Gefangen in einer Opfer-Mentalität.

Ich bin dazu noch mit dem Glaubenssatz aufgewachsen, dass alle Männer immer nur Sex wollen. Deshalb sollte ich sehr vorsichtig sein und mich davor schützen, mich für reine Trieb-Befriedigung benutzen zu lassen. Was ich dazu schlussfolgerte war, dass ich einen sexuellen Anreiz bieten muss, wenn ich Nähe suche.

Kognitive Dissonanz in Reinform.

Erschwerend hat dieser Glaubenssatz aus dem Schatten meines Bewusstseins all meine Beziehungen zu Männern beeinflusst. Ständig war ich auf der Hut, immer am prüfen ob jetzt jemand Sex will. Bemerkt habe ich das erst, als ich relativ spät meine erste feste Beziehung hatte.

Meine Sexualität hatte ihren Platz, und jeder wusste das.

Zum ersten Mal konnte ich Freundschaften zu Männern als nur das erleben, was sie waren: Freundschaften. Eine nicht-sexuelle Sympathie und Wertschätzung zwischen zwei Menschen. Das war wirklich neu für mich, und endlich konnte ich andere Frauen wirklich verstehen, die im Umgang mit Männern unbedarft und frei waren.

Ich bin übrigens nicht die Einzige.

Auch beim Feiern konnte ich früher oft beobachten, wie erstmal geklärt werden musste, ob man sich auch körperlich anziehend fand und somit vielleicht später miteinander schlafen „musste“, oder ob man sich nur nett fand. Das Zwischending war, wenn sie sich so gern mochten, dass sie vorsichtig waren und sich besser kennenlernen wollten um eine Beziehung zu begünstigen.

Und dann gab es die Leute die nicht suchten, sondern einfach mit sich zufrieden waren.

Sie brauchten niemanden, der ihren Wunsch nach Nähe, Geborgenheit, Verbindung erfüllte. Sie mussten keine rauschende Leidenschaft erleben, die sie aus ihrem Trott riss, oder wenigstens ein bisschen Druck abbauen. Die waren einfach nur trinken und tanzen, vielleicht mit einer Runde Mädels oder Kumpels. Dabei hatten sie Spaß. Und danach gingen sie erfüllt allein nach Hause. Manche davon waren in festen Beziehungen, andere nicht.
Im Gegensatz zu den verzweifelten Singles, die jeden Abend aufs neue hofften, endlich die Liebe fürs Leben oder wenigstens Sexualpartner zu finden.

Solche Verwirrungen vergiften die Beziehung zwischen den Geschlechtern.

Körperliche Nähe und physische Zärtlichkeit haben nicht zwingend etwas mit Sexualität zu tun, wobei es oft das ist, wonach viele Menschen dürsten. Sie glauben dann aufgrund der kollektiven Glaubenssätze, Zärtlichkeit nur in einer zumindest auch sexuellen Beziehung zu finden. Dabei gibt es Zärtlichkeit überall, und ich kann sogar selbst mein Bedürfnis nach Zärtlichkeit erfüllen.

Nicht so, wie ich früher gedacht hatte.

Wenn ich mir selbst übers Haar streiche ist das völlig anders, als wenn jemand anderer das macht. Es löst aber ähnliches in mir aus, wenn ich mich verwöhne. Zum Beispiel mit einem warmen Vollbad, duftend von ätherischen Ölen. Oder bei einem Waldlauf, barfuß über weiche Erde.
Und ähnlich kann ich auch an die Erfüllung meiner sexuellen Bedürfnisse herangehen.

Ich schaue an, was in mir passiert, wenn meine Sehnsucht durch etwas von Außen gestillt wird.

Dann finde ich andere Arten, diese innerliche Reaktion in mir zu bewirken. Das klappt am besten, wenn ich es zu einem Selbstverständnis mache, für mich zu sorgen, lange bevor ich in Mangel gerate.
Wenn ich so vorgehe, sorge ich selbstverantwortlich für mein Wohlergehen. Ich mache mich unabhängig davon, dass andere Menschen meine Bedürfnisse erfüllen. Und ich kann viel entspannter damit umgehen, wenn innerhalb einer Partnerschaft die Vorlieben auseinander driften.

Das bedeutet, der Druck verschwindet.

Osho hat eine andere Herangehensweise. Er empfiehlt uns, kreuz und quer zu poppen, bis wir endlich klar haben, was wirklich wollen. Tatsächlich nennt er, der tantrische Ashrams verbreitete, in denen oft sexuelle Orgien stattfanden (Sex macht nur einen sehr kleinen Teil des tantrischen Spektrums aus), sich selbst den größten Feind von Sex. Er will uns in die Überdrüßigkeit führen, wo Sex langweilig geworden ist.
Vor den Eingängen von traditionellen Ashrams befanden sich kopulierende Statuen, über die die Menschen meditieren sollten, bis der Sex uninteressant geworden war. Manche blieben dort hängen. Andere gingen irgendwann hinein, in die leere Halle.

Nun auch selbst leer genug, um Gott zu empfangen.

Osho behauptet, wir jagen nur dieser gedanklichen Stille, der Verschmelzung nach. Sexualität ist nur das Instrument, sie zu erreichen. Viel leichter ginge es angeblich mit Meditation.
Nachdem ich die Idee nun länger hin- und hergerollt habe, stimme ich überein mit dem Gedanken, dass wir im Grunde meist die Stille suchen.
Allerdings denke ich, dass Sexualität eine mächtige Kraft ist, die im geschützten Rahmen einer vertrauensvollen Partnerschaft am besten aufgehoben ist. Folgen wir dem Rat von Osho, uns kreuz und quer dämlich zu vögeln, oder auch nur bedenkenlosen Umgang damit zu pflegen, laufen wir Gefahr uns in großem Chaos und sehr viel Schmerz wieder zu finden.
Nicht umsonst sind polyamore Beziehungsformen langfristig oft zu anstrengend für die Beteiligten.

Welchen Zustand willst du mit welchen Mitteln erreichen? Sind deine Strategien effektiv und angemessen?

Ich kann weiter sexuell aktiv sein, auch wenn meine Sexualität kein Bedürfnis mehr ist.  Auch mich aktiv um meinen sexuellen Ausdruck zu kümmern ist möglich. Aber der Druck wird weniger sein.
Ich muss nicht, sondern ich kann.
Sexualität wird zur Wahlmöglichkeit.
Das erleichtert und entspannt mich.
Vor allem aber werden meine Beziehungen freier und leichter.

Intime Begegnung wird von zerrender Bedürfnisbefriedigung zum freudigen Tanz.

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Hier schreibt Mira. Hauptberuflich Lebenskünstlerin mit Fokus auf Heilkunde, Mutterschaft und die Entfaltungsprojekte.

6 thoughts on “Sexualität – Bedürfnisbefriedigung, Spiel oder Meditation?

  1. Danke fuer diesen Artikel! Er gibt mir noch mal einen anderen Blickwinkel auf mein verkorkstes Sexleben und zeigt Dinge auf, die mir bisher noch gar nicht bewusst waren!

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